Die Werke berühmter Komponisten verkaufen sich gut, wenn Jubiläen gefeiert werden. Stars wie David Garret gewinnen indes an Bedeutung.

Stuttgart - Er hat einen blonden Zopf, ein breites Lächeln und strahlende, freundliche Augen; kurz er ist der Schwarm der Mädchen. Ein Popstar? Von wegen. Es ist der Geiger David Garrett. Er ist auch der Liebling der Konzertveranstalter, denn Garrett sorgt für volle Säle. Im Frühjahr vergangenen Jahres mussten gar zusätzliche Stühle in den Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle geschoben werden - der 29-Jährige spielte das erste Violinkonzert von Max Bruch. Klassische Musik ist verstaubt? Garrett beweist das Gegenteil. Der deutsche Geiger Garrett, der chinesische Pianist Lang Lang, die deutsche Geigerin Anne-Sophie Mutter oder die russische Sopranistin Anna Netrebko - dies sind schillernde Namen, deren Bekanntheit durch ihre Präsenz in Illustrierten wie "Bunte" und "Gala" erhöht wird und die Kassen von Konzertveranstaltern und CD-Händlern klingeln lassen. Eine Anne-Sophie Mutter ziehe selbst mit der zehnten Sinfonie des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch oder den schwierigen Spätwerken des Finnen Jean Sibelius noch die Zuhörer an.

Jubiläen beeinflussen das Angebot stark


Gehören denn nicht auch die Jubiläen berühmter Komponisten zu den Publikumsmagneten? 2009 war das Jahr von Felix Mendelssohn-Bartholdy und von Joseph Haydn, in diesem Jahr werden Robert Schumann und Gustav Mahler gefeiert. Orchester und Rundfunkanstalten richten ihr Repertoire nach den Jubiläen aus. Verlage werfen Biografien und Noten auf den Markt, in den CD-Läden sind ganze Tische mit wenigen Namen dekoriert. "Der Markt lebt einzig von diesen Daten", sagt ein Mitarbeiter eines Musikverlages. "Ich halte mich zurück", sagt dagegen der Stuttgarter Konzerveranstalter Michael Russ - gerade weil alle anderen feiern. Und: es gebe es nur ganz wenige Komponisten, die "die Menschen hinter dem Ofen hervorlocken".

Aber es gibt sie. Wolfgang Amadeus Mozart gehört zu den Zugpferden. Er war es wohl, der 2006 den Absatz von Tonträgern hat in die Höhe schnellen lassen. So ist der Umsatzanteil mit klassischen CDs und DVDs (gemessen am Gesamtumsatz) im Mozartjahr um 0,4 Punkte auf 8,3 Prozent gestiegen. Ein Jahr später sackte der Erlös wieder auf Normalmaß ab.

Musik hört jeder - im Auto, in der Straßenbahn, zu Hause oder im Konzertsaal. Mehr als 11.000 Unternehmen der Musikwirtschaft gibt es in Deutschland, die rund 64.600 Mitarbeiter beschäftigen und 6,4 Milliarden Euro (Stand 2006) umsetzen, hat Michael Söndermann, der Vorsitzende des Arbeitskreises Kulturstatistik in Bonn, errechnet. Tendenz zunehmend. Söndermann greift auf Zahlen aus der Umsatzsteuerstatistik und der Bundesagentur für Arbeit zurück. Zur Branche gehören selbstständige Komponisten, Musikverlage, die Herstellung von Tonträgern, der Handel mit Musikinstrumenten und Noten, Theater- und Konzertveranstalter sowie Musik- und Tanzensembles. Nicht berücksichtigt sind Herstellung und Handel mit Rundfunk- und Fernsehgeräten sowie Discotheken und Tanzschulen.

Klassische Musik in der Zukunftskrise


Aber: Unterhaltungsmusik ist der Umsatzbringer schlechthin in diesem Geschäft. Die ernste Musik dagegen mag seit Jahrhunderten vermarktet werden, jawohl vermarktet, denn Komponisten wie etwa Georg Friedrich Händel, Komponist der Wassermusik, galt auch wirtschaftlich als ausgesprochen erfolgreich. Heute führt die Klassik allerdings eher ein Schattendasein. Wie groß der Markt tatsächlich ist, dazu gibt es allenfalls Schätzungen - und die reichen von knapp sieben Prozent bei den Tonträgern (das wären dann 110 Millionen Euro), über zehn Prozent bei Verlagsprodukten wie Noten (60 Millionen Euro) bis hin zu rund 20 Prozent bei den Konzertveranstaltern (zwischen 400 und 500 Millionen Euro).

Michael Russ sorgt sich um die Zukunft der klassischen Musik. Zwar sind die Musikschulen voll junger Menschen, die Klavier, Geige oder Flöte lernen wollen. Doch die wenigsten von ihnen finden regelmäßig den Weg in den Konzertsaal, klagt Russ. Er lebt weitgehend von der Generation 50 plus. Nicht mal die Studenten der Musikhochschule kann er mit seinem Programm begeistern. Für 50 Euro könnte der musikalische Profinachwuchs ein Abonnement für zehn Klavierabende erwerben, erzählt Russ, der Präsident des Verbands der Deutschen Konzertdirektionen ist. "Gerade mal 28 Studenten machen von dem Angebot Gebrauch". Otto Normalverbraucher zahlt in der Spitze 315 Euro für die zehn Klavierabende. An den Eintrittspreisen könne es nicht liegen, glaubt Russ.

Das Abonnement an sich steckt in der Krise. "Die Menschen wollen sich nicht mehr an einen Veranstalter binden", begründet der Stuttgarter Konzertveranstalter die Abneigung der Menschen. Gerade in der Landeshauptstadt würden sie ein reiches Angebot finden. Die Stuttgarter Philharmoniker, das Kammerorchester, das Bach-Orchester oder das Freiburger Barockorchester - sie alle wetteifern um Zuhörer. Und die picken sich im wahrsten Sinne die Rosinen heraus. Für David Garrett oder die Netrebko sind sie bereit, tief in die Tasche zu greifen. Bis zu 375 Euro kostet ein Ticket am freien Markt, um Garrett etwa im Mannheimer Rosengarten zu sehen. Keine Frage, Stars beleben das Geschäft, doch zum Alltag eines Konzertveranstalters gehören weit weniger bekannte Künstler. "Wir sind auf Abonnenten angewiesen", sagt Russ. Wegen der Planungssicherheit: denn die Ausrichtung von Konzerten ist teuer - mietet er dafür etwa die Stuttgarter Schleyerhalle an muss er mit Produktionskosten bis zu 200.000 Euro rechnen - für Hallenmiete, Werbung und Honorare. Wenn 60 bis 70 Prozent der Karten über Abos gedeckt sind, ist er zufrieden. 1000 solcher Langzeitkunden stehen in seiner Kartei; wie "rohe Eier" behandele er sie. Bevorzugt werden sie etwa bei den Preisen. Die Kurzentschlossenen sind es denn auch, die Russ den Gewinn bescheren.

Weniger Abonnements bedeuten: weniger Konzertdirektionen


Doch der Rückgang der Abozahlen könnte weitreichendere Folgen haben. Vielleicht wird ein Konzertzyklus von derzeit zehn auf noch sieben oder acht Konzerte pro Jahr gekürzt. Letztlich könnten sich Veranstalter aus mittelgroßen Städten zurückziehen. Russ etwa will zum Sommer seine Konzertdirektion in Ulm schließen.

Nicht mal mit einem Programm beliebter klassischer Melodien kann er die Leute locken. Das liegt nicht an Russ, sondern am System. Denn: "Ich bin auf das Angebot angewiesen", erläutert er. Sowohl Pianisten als auch Orchester reisen in der Saison mit einem festen Programm von Stadt zu Stadt. "Da gibt es nichts anderes. Das Repertoire ist relativ eng", erläutert Russ. Teilweise sind auch Werke ganz junger Komponisten dabei, die Russ selbst nicht kennt. "Da kaufe ich die Katze im Sack." Solche Werke, die manchmal eine Herausforderung für die Ohren sind, sind meist der Türöffner des Abends. Die Zuhörer würden es meist mit viel Humor nehmen - "es dauert ja nicht länger als zehn Minuten" (Russ). Doch das kostet extra: Denn lebende Komponisten - und nicht nur die - werden an jeder Aufführung finanziell beteiligt; die Verwertungsgesellschaft Gema kümmert sich darum (siehe Kasten).

Davon profitieren dann auch die Musikverlage. Nach einem komplizierten Schlüssel erhalten sie Geld von der Gema - vorausgesetzt, sie betreuen geschützte Klassiker des 20. Jahrhunderts. Zwischen 20 und 30 Prozent des Geldes, das die Gema ausschüttet, landet bei den Verlagen, schätzt die Sprecherin des Deutschen Musikverlegerverbandes. Es gibt eine wahre Flut von vielleicht 170 vor allem kleinster, spezialisierter Verlage in Deutschland. Acht namhafte Traditionshäuser wie Bärenreiter, Breitkopf/Härtel, Peters und Schott bieten ein breites Notenspektrum - von der Blockflötenschule bis hin zur Oper. Der weit überwiegende Teil der Noten ist im Handel erhältlich. Es gibt aber auch Mietmaterial - immer dann wenn Stücke ganz selten aufgeführt werden (und sich deshalb die Anschaffung für Orchester nicht lohnt). Schließlich liegen die Produktionskosten einer Partitur für eine klassische Sinfonie im mittleren fünfstelligen Eurobereich.

Die Wirtschaftskrise macht auch vor der Kultur nicht halt. Zu spüren ist dies vor allem am Musiktourismus. "Die amerikanischen Orchester haben nahezu alle Tourneen nach Europa abgesagt oder zurückgestellt", sagt Russ. Dies liegt an den Sponsoren, die sich zurückhalten. Mit den Geldern seien Flüge und Hotels gezahlt worden. Müssten dies die Konzertveranstalter auch noch tragen, würden die Kartenpreise in ungeahnte Höhen klettern. Und das schreckt wieder die Abonnenten.