Der IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel tritt nach fast 18 Jahren ab. Ob er stattdessen Bundesarbeitsminister wird, ist allerdings höchst unsicher. Mit Angela Merkel wäre Wiesehügel als Minister kaum kompatibel.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Es ist ein Himmelfahrtskommando, auf das sich Klaus Wiesehügel da einlässt. Mit 60 Jahren will er einen neuen Lebensabschnitt starten – als Bundesarbeitsminister. Doch nach einem Wahlsieg von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sieht es nicht aus, und nur dann hat Wiesehügel den Ministerposten sicher – Steinbrück hat es ihm versprochen. Welch ein Aufstieg nach 40 Jahren in der SPD. In einer großen Koalition hingegen erscheint dieser unwahrscheinlich. Merkel und Wiesehügel sind kaum kompatibel.

 

Bequem hätte er noch eine Amtszeit dranhängen können als Vorsitzender der IG Bauen-Agrar-Umwelt (Bau). Er ist ihr Aushängeschild. Fast 18 Jahre lang stand er an ihrer Spitze und ist damit der dienstälteste Gewerkschaftschef im DGB. Doch dann kam Anfang Mai via Parteichef Sigmar Gabriel das Angebot Steinbrücks, ins Kompetenzteam einzusteigen. „Ich bin gerne bei den Gewinnern“, sagt der Berufene siegessicher – und könnte am 23. September doch als Ruheständler aufwachen.

Wiesehügel nahm Stolz im Gewerkschaftsbeirat wahr, als er dem Gremium seinen Schritt erläuterte. Da seien Erinnerungen an Georg („Schorsch“) Leber wach geworden, der 1966 auch aus dem Vorsitz heraus Minister geworden sei „und für die IG Bau immer etwas Besonderes war“, schilderte der gelernte Betonbauer.

Gerangel um den künftigen Vorsitz

Ganz so harmonisch, wie es scheint, geht es aber wohl doch nicht zu, wie das anschließende Gerangel zeigte. Mitte Juni setzte sich Robert Feiger erst nach einer Kampfabstimmung im Beirat mit 33 zu 27 Stimmen gegen den anderen Vize, den Tarifexperten Dietmar Schäfers, durch. Seiner Wahl zum Vorsitzenden dürfte heute auf dem Gewerkschaftstag in Berlin damit nichts im Wege stehen. Allerdings war Schäfers der Favorit seines Freundes Wiesehügel. Kurzzeitig erwog er sogar, trotz der Vorwahlniederlage zu kandidieren, ließ aber davon ab.

Zudem sorgte der Beirat für weiteren Verdruss – er nominierte ausschließlich Männer für den neuen Vorstand, obwohl fast jeder Dritte der knapp 300 000 Gewerkschaftsmitglieder eine Frau ist. Wiesehügel deutete an, diese Entscheidung umbiegen zu wollen. „Ich gehe davon aus, dass der Kongress eine Frau in den Vorstand wählt“, sagte er . „Wir haben allein fast 60 000 Gebäudereinigerinnen in der Organisation, und auch in den anderen Bereichen haben wir Frauen – die müssen im Vorstand vertreten sein.“

Indem er versuchte, eine Mitarbeiterin in den Vorstand zu bringen, goss er aber neues Öl ins Feuer. So warnte eine Gruppe von Funktionären in einem Brief, dass ein offenes Wort nicht sehr erwünscht sei. Zudem verschickten laut „Süddeutscher Zeitung“ 14 Gewerkschaftssekretäre einen Brandbrief an acht Vorstände und Kandidaten – Wiesehügel ausgenommen. Darin hauten sie mächtig auf den Putz: Die IG Bau habe keine attraktiven Kampagnen für ihre wichtigsten Branchen mehr, alle guten Ansätze seien in Kompetenzgerangel zerrieben worden. „Seit Jahren schrumpfen die Mitgliederzahlen“, heißt es. „Eine ernsthafte Gegenstrategie können wir nicht erkennen.“ So hinterlässt Wiesehügel auch verbrannte Erde.

Wiesehügels politisches Wendemanöver

Mit den Niederungen der IG Bau musste sich der Kanzlerkandidat gestern nicht befassen. Bei seinem Gastauftritt versprach Steinbrück im Fall des Sieges die Eindämmung der prekären Arbeit: „Wir müssen Leiharbeitsverhältnisse und Werkverträge mit in die Mitbestimmung packen“, sagte er. Es müsse „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ geben – für Leiharbeiter und Stammbelegschaft, für Frauen und Männer. Dass Wiesehügel dies als Arbeitsminister gleichfalls anstrebt, ist klar. Er geißelte die Politik des Gegners: Schlechte Arbeitsbedingungen seien seit langem auf dem Vormarsch. Viele Beschäftigte hätten somit nichts von der stabilen Wirtschaftslage. Fazit: „Der deutsche Arbeitsmarkt ist kein Modell für Europa.“

Seit seiner Ernennung zum Schattenminister hat Wiesehügel viel damit zu tun, den Vorwurf abzuwehren, dass er als früher scharfer Agendakritiker nicht zum Die-Agenda-war-im-Prinzip-richtig-Befürworter Steinbrück passe. Vor allem die Linkspartei, mit der Wiesehügel einst sympathisiert hat, lästert über sein Wendemanöver. Gestern war davon keine Rede. Stattdessen versuchte er eine nüchterne Würdigung seiner Amtszeit: Er habe mit dem Umbau der IG Bau den Haupt- und Ehrenamtlichen viel abverlangt. Die einst reine Bauorganisation sei nun eine Branchengewerkschaft für Baugewerbe, Baustoffe, Gebäudereinigung und Grüne Branchen. Die Folge seien Identitätsprobleme, deren Überwindung die zentrale Herausforderung bleibe.