Das Flughafendesaster stürzt Klaus Wowereit in seine bisher größte Krise. Aufgeben wird der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt aber nicht. Den Großflughafen Berlin-Brandenburg will er eröffnen – wann auch immer.

Berlin - Es ist ein Abend für kurzärmelige Hemden in Berlin – die warme Abendsonne scheint gelb aufs Westportal des Reichstages, und vor dem Parlament picknicken Touristen in sandfarbenen Siebenachtelhosen. Anzugträger sind Fehlanzeige, das Regierungsviertel dämmert noch in der Sommerpause. Dann hält doch eine dunkle Limousine, und die Leute auf dem Trottoir wenden ihre Köpfe. Sie sehen einen Mann, der sich gleich mit auf die Picknickwiese setzen könnte: über die royalblauen Baumwollhosen hängt ein knautschiges Shirt mit Ziernähten, um die Schultern schlingt sich ein Pulli. Wer so rumläuft, der ist entweder privat, oder er sendet eine Botschaft. Auf Klaus Wowereit trifft beides zu: Nie hat der Regierende Bürgermeister es so nötig gehabt, seiner Stadt zu zeigen, wie sehr er sich in seinem Job zu Hause fühlt.

 

Wowereit, elf Jahre an der Spitze der Hauptstadt, erlebt die größte Krise seiner Amtszeit. Seit Monaten wird sein Name nur noch in einem Zusammenhang genannt: das Desaster um den Berliner Flughafen – und die Suche nach den Verantwortlichen. Neuerdings stellen die Demoskopen in der Hauptstadt Fragen, die so vor kurzer Zeit noch keiner für möglich gehalten hätte: „Wann tritt Wowereit zurück?“ 41 Prozent der Befragten finden, dass er seinen Aufsichtsratsposten abzugeben hätte – was danach käme, ist auch klar. Gut die Hälfte der Berliner sagt, das Chaos am Flughafen sei unverzeihlich.

Matt, graugesichtig und kleinäugig

Wer Wowereit in den Wochen nach jenem 8. Mai beobachtet hat, an dem die für den 3. Juni geplante Eröffnung des Großflughafens BER verschoben werden musste, der hat vor allem den Eindruck, dass der Mann das alles selbst unverzeihlich findet. Matt, graugesichtig und kleinäugig stand er im Juni als Gastgeber auf der Bühne des Hoffestes im Roten Rathaus. Ein Horrorabend. Gedacht und inszeniert gewesen war er als persönlicher Triumphzug des Bürgermeisters: Hier sollte sein Projekt Flughafen gefeiert werden. Alles war vorbereitet. Am Eingang posierten Stewardessen. Alle Gäste hielten anstelle einer Einladung eine Bordkarte in der Hand.

Was macht man mit so einer Malaise? Absagen? Abtauchen? Der Berliner verlegt sich in solchen Fällen gerne auf eine Form des Abwetterns, die irgendwo zwischen koddrig und schnoddrig changiert, und Wowereit kann das besonders gut. Schnauze mit Lächeln. „Wir waren ein bisschen voreilig mit den Einladungskarten“, sagte er mit seiner in solchen Momenten kieksenden Stimme ins Mikrofon: „Dumm gelaufen.“ Aber das Publikum lachte kaum.

Natürlich ist Klaus Wowereit verantwortlich. Er ist Regierungschef, er ist der Aufsichtsratsvorsitzende der Flughafengesellschaft. Vor allem aber hat er den Flughafen zum zentralen Projekt der politischen Ära Wowereit gemacht – einem Projekt, das nicht anders konnte, als verwirklicht zu werden. Das dachten jedenfalls alle. Nun hat die Gleichung andere Vorzeichen bekommen: Scheitert das Projekt, dann ist auch Wowereit gescheitert. Es ist nicht so, dass er in seiner politischen Karriere keine Erfahrung mit Krisen gemacht hätte. Im Gegenteil. Der 58-Jährige ist einer, der Krise kann. Manchmal denkt man, erst mit ordentlich Druck macht ihm Politik so richtig Spaß. Dann kann man seinen sehr bestimmten, von Zweifeln unangefochtenen Machtwillen spüren. Einer, der ihn zehn Jahre lang im rot-roten Senat erlebt hat, berichtet von der Lust des Regierungschefs an der Auseinandersetzung. „Er ist im Detail informiert und kennt die Akten genau – und es bereitet ihm Freude, sein Gegenüber im Zweifelsfall kurz und klein zu machen.“ Der Mann gewinnt gern.

Wowereit kommt von unten

Wowereit ist einer, der von unten kommt, uneheliches Kind einer Frau, die nach seinen eigenen Worten heute zum Prekariat zählen würde. Er stieg auf ohne Seilschaften. Und er scheut die Konfrontation um der Macht willen nicht: Als erster Politiker outete er sich als schwul. Er tat es, weil es anderntags in der Zeitung gestanden hätte, das war auch so eine Krise, in der Klaus Wowereit sich einfach hingestellt hat und gemacht hat – um der Macht willen.

Eben dieser Charakterzug machte ihn in einer Krise zum Regierenden Bürgermeister, als die CDU über den Bankenskandal stürzte. Es war Klaus Wowereit, der kurz darauf der einst geteilten Stadt den Tabubruch einer rot-roten Koalition zumutete – und anschließend den berühmten „Mentalitätswechsel“ mitsamt einem Finanzsenator, der gegen Beamte und arme Leute hetzte und einem Sparkurs, den in dieser Stadt keine bürgerliche Koalition hätte durchsetzen können. Mit seinen Bürgern geht er in den In-Fight: wird er angepflaumt, dann bleibt er stehen – und argumentiert und argumentiert. Bisher hat der starke Mann der SPD damit noch jede Stimmung gedreht: zuletzt war das vor einem Jahr so, als die Grünen nach ihrem Höhenflug in den Umfragen glaubten, sie könnten die Regierende Bürgermeisterin in einer grün-roten oder einer grün-schwarzen Koalition stellen. Nun sitzen sie auf der Oppositionsbank.

Die Berliner lieben ihn nicht mehr

Aber jetzt, seit dem Flughafen, macht der Sonnenkönig eine neue Erfahrung: seine Berliner lieben ihn nicht mehr. Im Juli brachen seine Umfragewerte ein – von der Spitze der Beliebtheitsskala sackte Wowereit auf Platz neun, vor ihm lagen Leute, die in der Stadt nicht mal jeder Dritte kennt. Was noch schwerer wiegt: zum ersten Mal legen die Umfragen den Schluss nahe, dass Wowereit seiner SPD nicht nützt, sondern schadet. Die Partei ist auf 26 Prozent abgesackt.

Und nun? Götterdämmerung? Es sah ein bisschen so aus. Es war die Häme, dieser republikweite Spott über die Nichtshinkrieger in Berlin, die Wowereit etwas ausmachte. Nie hatte ihn das Klischee vom „Regierenden Partymeister“, der sich nicht um seine Stadt kümmere, ernsthaft beschwert. Aber das Bild, wonach er sich als mäßig fleißiger Hedonist um den Flughafen nicht genug gekümmert habe, das fuchst Klaus Wowereit. Wenn man Beobachtern aus dem Aufsichtsrat glaubt, die dem SPD-Mann nicht mal unbedingt wohlgesinnt sind, dann stimmt es nicht. Er sei immer genau informiert gewesen, er habe die Geschäftsführung mit seinen Nachfragen so drangsaliert, dass es Zuhörern fast peinlich gewesen sei, wird erzählt.

Keine geniale Lösung

Anfang Juni versetzte ihm dann auch noch seine SPD einen Schlag in die Magengrube: Der Wowereit-Mann Michael Müller wurde abgewählt, stattdessen führt nun der Linke Jan Stöß die Partei – und will, gemeinsam mit dem Fraktionschef Raed Saleh, der SPD zu einem klaren linken Profil verhelfen, das durchaus konträr zur Senatslinie liegen kann. Für Klaus Wowereit ist das neu: Die Zeit der Durchregierens ist vorbei, er braucht nun Unterstützung. Über den Sommer begann ein Geraune. Wird er diese Rolle annehmen? Kann es sein, dass er irgendwann nicht mehr will? Macht er den Ole von Beust? Beim Koalitionspartner CDU fing man an, sich Gedanken darüber zu machen, was passiere, wenn Wowereit die Brocken hinschmeiße. Die Christdemokraten können nach einem Jahr kein Interesse am Ende der Koalition haben. Verschärft wurde beobachtet, wer sich in der SPD in Stellung bringt. Es ist Wowereits Glück, dass sich da keine geniale Lösung aufdrängt. Natürlich wird auch überlegt: Was könnte den politischen Druck so erhöhen, dass er zurücktreten muss? Eine erneute Verschiebung des Eröffnungstermins? Das sieht nicht einmal die Opposition so.

Klaus Wowereit geht an diesem Sommerabend durch den Garten eines Restaurants am Reichstag. Die SPD-Fraktion hat zu einem Fest eingeladen. Es wird spät. Weit nach Mitternacht sitzt Wowereit an einem Tisch, umringt von Journalisten und Parteifreunden. Er streitet, er argumentiert. Die Sommerpause ist zu Ende, da läuft sich einer warm. Am Donnerstag wird er eine Regierungserklärung abgeben. Es geht, natürlich, um den Flughafen. Und der wird, wann auch immer, von Klaus Wowereit eröffnet werden.