Gewonnen. 85 Abgeordnete haben ihm das Vertrauen ausgesprochen. Klaus Wowereit bleibt, auch wenn sein Nimbus weg ist. Er will seinen Abgang selbst inszenieren.

Berlin - Es ist 9.46 Uhr, als Klaus Wowereit aus dem Saal des Abgeordnetenhauses in die Lobby schreitet. Gewonnen. 85 Abgeordnete haben ihm das Vertrauen ausgesprochen. Das sind alle Stimmen aus der Koalition und obendrauf noch die eines fraktionslosen Abgeordneten, mehr geht nicht. Herein kam Wowereit durch einen Nebeneingang, unbemerkt. Aber dieses Herauskommen, es ist ein Triumphzug. Vor ihm gehen zwei Leibwächter, hinter ihm ein Gefolge von Menschen, das vorerst seinen Arbeitsplatz behält. Der Regierungssprecher, der Chef der Senatskanzlei, die Arbeitssenatorin.

 

Und in der Mitte, sehr aufrecht und mit vorgerecktem Kinn, Wowereit. Das helle Licht der Fernsehleute lässt seine Gesichtsfarbe fahl erscheinen, die Augen klein, angestrengt und verwaschen und die silbernen Haare bläulich. Aber als die Kameras angehen, da hat er jenes aufreizende Lächeln des Siegers angelegt, das auf Fotos immer so aussieht, als nehme dieser Mann gar nichts ernst. Seine rechte Hand fährt über den Hinterkopf. Dann stellt er sich hin und sagt: „Bitte schön.“ Für ihn kann es jetzt weitergehen.



Am Montag sah es einmal so aus, als gehe es nicht mehr weiter. Sie schäumten in der SPD. Aus der Zeitung mussten sie erfahren, dass es wieder nichts wird mit dem Eröffnungstermin für den Flughafen. Dass der Klaus das seit Freitag wusste. Ein ganzes Wochenende tauchte er ab, tat nichts, sagte nichts, weihte nur seine nächste Umgebung ein. Isolation, selbst gewählt, immer ein Zeichen des dräuenden Machtverlustes. Zum Baustellenchaos nun auch noch ein kommunikatives Desaster. Auch am Montag, lang kein offizielles Wort vom Regierenden. Es gab Gesprächsrunden und Vorstandssitzung, Telefonate. Zeugen berichten vom Druck aus der Bundesebene, vom Zorn in den Kreisverbänden und von einem Bürgermeister, der durch den Wind gewesen sei, der gewankt habe. Es gab mehr als eine Situation, in der Wowereit anheimgestellt hat zu gehen. Auch wenn das jetzt offiziell dementiert wird. Vor allem aber gab es an diesem Montag offenbar den einen Moment, in dem alle zusammen und allen voran der Mann mit der Macht den Schalter umlegten auf: Weitermachen.

„Ich bin Preuße“, sagt Wowereit jetzt und grinst ein bisschen. „Ich stehe zu meiner Verantwortung.“ Er sei für die volle Legislaturperiode gewählt. Er werde sein Amt ausüben. Und in den Nebengelassen der Lobby stehen ein paar Sozialdemokraten, die sich bemühen zu lächeln. Manchmal kann der Erfolg auch wehtun. Jetzt hat er sie wieder, die Macht, und er sieht aus, als sei er immer noch der König von Berlin. Aber Wowereit selbst weiß, dass da nicht mehr viel übrig ist vom Nimbus des Monarchen. Er hat eine schlimme Woche hinter sich, und was er vor sich hat, ist keine große politische Zukunft. Der Abschied hat begonnen, es ist nur noch die Frage, wie lange er sich hinzieht. Es ist die Schwäche der anderen, die ihn stützt. Seine Beliebtheitswerte sind im Keller, die Partei dümpelt in Umfragen hinter ihrem Juniorpartner CDU. Die Zeiten, in der Klaus Wowereit das Gefühl dieser Stadt verkörpert hat, sind vergangen. Lange hat er nicht auf die drängenden Fragen reagiert, die sich für viele Bewohner stellen: steigende Mieten, schlechte Schulen, wachsende soziale Spaltung – Fragen von Menschen, die hier leben, aber andere Dinge wie die Fashion Week, die Berlinale oder die blühende Gründerszene höchstens aus der Zeitung kennen.

Schon lang gärt es in der SPD, und im vergangenen Sommer, nach der Wahl, haben sie begonnen, den Kurs zu korrigieren. Die Partei verweigerte Wowereits Kronprinz Michael Müller die Gefolgschaft und wählte den jungen Linken Jan Stöß (39) an ihre Spitze. Stöß ist ein Analytiker, aber ein Mann ohne Regierungserfahrung und ohne Mandat, er ist im Hauptberuf Richter. An der Spitze der Fraktion sitzt Raed Saleh, 35 Jahre alt, ein Geschäftsmann mit Wurzeln im Westjordanland, der als glänzender Netzwerker und Machtpolitiker gilt, aber große Schwächen in der Rede hat. Es gibt auch in der Riege der Senatoren keinen, den die Partei als natürlichen Nachfolger sehen würde – Müller gilt als Mann der Vergangenheit, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres hat niemand auf der Rechnung, der parteilose Finanzsenator Ulrich Nussbaum ist unbeliebt. Der Arbeitssenatorin Dilek Kolat werden zwar Ambitionen nachgesagt, aber die ehrgeizigen jungen Männer haben eben auch Pläne und sitzen an den Schaltstellen. Allen aber fehlt, was Wowereit mit jeder Faser verkörpert: das Berlin-Gen.



Und jetzt? Die Newcomer haben sich vorerst zu Tode gesiegt, sie müssen sich hinter Wowereit versammeln. Noch. „Wir brauchen Zeit, um besser zu werden und an unseren Schwächen zu arbeiten“, sagt einer aus der Parteispitze. Eine „weiche Lösung“ wünschen sie sich. Und auch der Koalitionspartner ist nicht gefährlich – noch nicht. Zwar gibt es in der CDU Planspiele über ein Ende der Koalition, aber wenn die Christdemokraten Neuwahlen provozieren würden, müssten sie damit rechnen, am Ende trotz guter Ergebnisse in der Opposition zu landen. Ob die SPD als Juniorpartner zur Verfügung stünde, ist fraglich.

Klaus Wowereit weiß das alles. Und er hatte in dieser Woche die Nerven, zum Friseur zu gehen. Donnerstagmorgen stand der Regierende Bürgermeister recht langhaarig am Rednerpult des Parlaments. Es war die Stunde, zu der die Opposition die Bazooka ausgepackt hatte, ihre dickste Waffe: Misstrauensantrag. An diesem Tag wusste Wowereit längst, dass er das Schlimmste überstanden hatte. Das „friendly fire“, der Beschuss aus den eigenen Linien, hatte mit dem Angriff der Opposition aufgehört. Es ging jetzt nicht mehr um seine Macht, sondern um die Macht der ganzen Truppe.

Wowereit arbeitet wieder im Kampfmodus

Wowereit wurde laut, er blaffte die Zuhörer an. Er hätte sich bei seiner Stadt, bei ihren Menschen entschuldigen können. Er hätte etwas sagen können über Fehler, darüber, dass er versuchen wird, irgendwann aufzuklären, wie es sein kann, dass ein Flughafen eigentlich hätte im Sommer eröffnen sollen, und nun, ein halbes Jahr später keiner mehr eine Prognose wagt, ob es nun nächstes oder eher übernächstes Jahr so weit ist. Aber hier verteidigte einer sein politisches Lebenswerk, seine Leistung, die Stadt in zehn Jahren von ihrem Mehltau befreit und ihre Erweckung als aufregende, libertäre Metropole inszeniert zu haben. Vor allem aber verteidigte er den Anspruch, selbst bestimmen zu wollen, wann es zu Ende ist, nicht in die Geschichte eingehen zu wollen als Gescheiterter, der keinen Flughafen bauen konnte. Danach: Haareschneiden, Fernsehinterview, Neujahrsempfang der Bauindustrie. Und immer wieder dieselben Sätze. Der Flughafen ein Desaster, schuld die anderen, jetzt Blick nach vorn, wir packen es an. Dann Hände schütteln, lächeln und reden, da sein, nicht wegducken. So ist es auch am Freitag beim Neujahrsempfang der IHK. Knapp 2000 Leute sind da. Am hellsten flackert das Blitzlicht, wo Wowereit ist. Es gibt viele , die seine Nähe suchen. Ein freundliches Raubtierlächeln für die Parteifreunde. Ansonsten: er redet, er hört sich schlechte Flughafenwitze an und gute Ratschläge. Und er hört zu.

Es wird spät. Es wird leer. Klaus Wowereit könnte jetzt gehen. Es würde sich keiner mehr darüber wundern, dass er die Party verlässt. Stattdessen steht er da und versucht auf die Frage zu antworten, warum er weitermacht. Er beschreibt das Wochenende nach der Nachricht von der Verschiebung. Er beschreibt ein quälendes Wägen. Es ärgert ihn, dass man ihm vorwirft, an seinem Stuhl zu kleben. Macht, sagt er, das ist es nicht. Es gibt andere schöne Dinge, die man mit Ende 50 im Leben machen kann. Er spricht von Verantwortung, vom Nichtweglaufen. Da wird er unterbrochen, von ein paar Gästen des Empfangs. Sie hätten so gern ein Foto von diesem Mann, der bekannt ist und berühmt und jetzt direkt vor ihnen steht. Da lächelt Klaus Wowereit in die Kamera.