Häufig werden sie von großen Ketten verdrängt. Doch es gibt sie noch, die kleinen, charmanten Einzelhändler. So ist Orhan Sevimli mit seiner gut sortierten Markt-Ecke aus dem Westen nicht wegzudenken.

S-West - Es gibt viele Bilder, die untrennbar mit dem Westen verbunden sind. Die schnurgerade Schwabstraße zum Schwabtunnel hoch, der Birkenkopf, die Feuerseekirche, die Schlange vorm Brezelbäcker Bosch. Orhan Sevimli in seinem Stuhl an der Kasse im Markt-Treff gehört auch dazu. Der 49-Jährige führt den kleinen Supermarkt an der Seite seines Bruders seit 2001, ist jeden Tag für seine Kunden da. Als Kassierer und Berater, aber auch als Ansprechpartner und Seelsorger.

 

An diesem Nachmittag sogar mal als Reiseführer. Ein Stammkunde rätselt darüber, wie er von einem türkischen Flughafen in die Stadt kommen soll. Sevimli, wie immer mit Pferdeschwanz, bart und schicker Brille, rät ihm zur Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, wendet sich dann der nächsten Kundin zu. In aller Ruhe, Hektik mag er nicht.

Türkisch? Er sieht sich als weltoffen und international

Der Kontakt mit Menschen gefällt ihm. Herzlich, augenzwinkernd, manchmal ein bisschen polternd, so kennt man Sevimli an der Senefelder-/ Ecke Gutenbergstraße. „Viele meiner Kunden kommen seit Jahren“, legt er mit seiner kräftigen Stimme los. „Die Menschen kommen gerne her – und ich glaube“, fügt er bescheiden an, „dass das auch an mir liegt.“

Da ist was dran. Einmal, so erinnert er sich, hatte er die Markt-Ecke für zwei Wochen geschlossen. „Da haben sich meine Kunden gleich Sorgen um mich gemacht.“ Es ist ein stetes Kommen und Gehen in seinem Laden. Vom Großeinkauf bis zur Milch ist alles dabei, sein Sortiment ist eine Mischung aus deutschem und türkischem Supermarkt. „Der Laden ist international“, betont Sevilmi. „Hier treffen alle Nationalitäten zusammen: Albaner, Franzosen, Deutsche, Italiener, Türken, Bayern. Wir sehen uns schon lange nicht mehr als türkischen Supermarkt, sondern als weltoffenen Laden mit einer Menge Spezialitäten.“

Vor 42 Jahren kam Sevimli mit seiner Familie aus der Türkei nach Stuttgart. Er arbeitete in einer Druckerei, doch als die insolvent ging, stürzte er sich mit seinem Bruder in das Abenteuer Selbstständigkeit und übernahm den bestehenden Markt, der damals noch zur Nanz-Gruppe gehörte. Seither war er nur ein einziges Mal im Urlaub. Aber das stört ihn nicht. „Ich liebe die Vielfalt in diesem Beruf“, sagt er. „Jeder Tag ist anders, jeder Kunde ist anders. Ich unterhalte mich viel, lerne viel dazu. Die Markt-Ecke“, sagt er nach einer kurzen Pause und seine Augen blitzen, „ist ein Teil des Westens geworden.“

Nirgends gebe es bessere Brezeln

Er selbst wohnt zwar nicht im Westen, genießt das Vielvölkerdasein und den Trubel im Quartier aber jeden Tag. „Schulkinder kommen zu mir, junge Menschen aus WGs, auch die von der Württembergischen Versicherung holen sich hier jeden Morgen ihre Brezel.“ Die sei etwas ganz besonderes, betont er. „Meine Kunden sagen, dass es nirgendwo bessere Brezeln gibt.“

Die Kunden vertrauen ihrem Orhan durchaus, das merkt man, wenn man dem Treiben in der Markt-Ecke einfach mal ein Weilchen zuschaut. „Ich kenne meine Kunden und die Kunden kennen mich“, sagt er achselzuckend, als wäre es das Normalste auf der Welt. „Ich nehme mir Zeit für sie, habe einen ganz anderen Draht zu ihnen als die Leute in einer großen Supermarktkette. Wer meinen Laden verlässt, verlässt ihn meist mit einem Lächeln. Und ganz ehrlich wie viele Menschen sieht man auf der Königstraße lächeln?“

Irgendwie muss das etwas mit seinem Nachnamen zu tun haben. Sevimli bedeutet übersetzt ins Deutsche soviel wie charmant, sympathisch, liebenswürdig. Er breitet die Arme aus und strahlt. „Das passt doch, oder?“