Zur Europawahl treten in Deutschland noch mehr Klein- und Kleinstparteien an als beim letzten Mal. Viele werden Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel schicken dürfen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die ganz kleinen Parteien haben durchaus Chancen, bei der Europawahl am 26. Mai einen Sitz im Straßburger Parlament zu erringen. Wie 2014 gibt es bei der Wahl in Deutschland keine Sperrklausel. Anders als bei Bundes- und Landtagswahlen müssen Parteien also keine Prozent-Hürde überwinden, bevor ihre Stimmanteile in Sitze umgerechnet werden.

 

Jede Partei, die etwas mehr als ein Prozent der abgegebenen Stimmen erzielt, darf mit einem Kandidaten ins Europa-Parlament einziehen. Beim letzten Mal reichten Martin Sonneborn von der „Partei“ weniger als 185 000 Stimmen. Auch der NPD-Politiker Udo Voigt zog ins Europaparlament ein. Unter den 96 deutschen Europaabgeordneten, die 2014 davon profitierten, dass es keine Sperrklausel gab, sind zudem Abgeordnete der FDP, der Tierschutzpartei, der ÖDP, der Freien Wähler und der Piraten.

Vielleicht das letzte Mal ohne Prozent-Hürde

Die Erfolgsaussichten für die Exoten haben sich herumgesprochen, daher treten am 26. Mai noch mehr Klein- und Kleinstparteien an als beim letzten Mal. Es ist vermutlich auch ihre letzte Chance. Die EU hat gesetzgeberisch den Weg dafür freigemacht, dass beim nächsten Mal auch in Deutschland eine Sperrklausel gilt. Bevor es so weit ist, muss der Bundestag aber noch das nationale Europawahlrecht ändern.

Anders als im Bundestag oder in den Landtagen können selbst Einzelkämpfer im Europa-Parlament durchaus Wirkung entfalten. So ist es nämlich üblich, dass die großen Fraktionen im Europa-Parlament Einzelabgeordneten attraktive Angebote zur Zusammenarbeit machen. Zur Fraktion der Grünen im Europaparlament etwa zählten in den vergangenen fünf Jahren neben Grünen-Abgeordneten aus Deutschland und anderen EU-Ländern auch die einzige deutsche Piratin Julia Reda sowie der ÖDP-Politiker Klaus Buchner.

Nicht alle Gewählten arbeiten konstruktiv mit

Ulrike Müller von den Freien Wählern ist in Straßburg bei der liberalen Parteienfamilie Alde untergekommen. Müller (56), die auf Platz eins der Freien Wähler für die Europawahl steht, hat etwa zuletzt an der Wasserrichtlinie mitgearbeitet und an einer Initiative gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. „Ich bin keine Einzelkämpferin in Straßburg, sondern bestens vernetzt“, sagt Müller. Und weiter: „Wir zeigen, dass es keine Sperrklausel bei Europawahlen braucht.“ Seit kurzem sind die Freien Wähler in Bayern in der Regierung mit der CSU. Dadurch werden sie über Bayern hinaus wahrgenommen. Müller: „Ich hoffe, dass wir zwei bis drei Abgeordnete mehr bekommen.“

Die Piratin Julia Reda machte sich einen Namen, indem sie gegen die EU-Urheberrechtsreform kämpfte. Reda, Müller und etliche andere Abgeordnete von Splitterparteien arbeiten also konstruktiv mit.

Dies kann man von den zwei deutschen Abgeordneten Martin Sonneborn („Die Partei“) und Udo Voigt (NPD) nicht behaupten. Die Stimmabgabe für die beiden Politiker bei der Wahl 2014 war verschenkt, weil Voigt und Sonneborn sich nicht einer der acht Fraktionen im Parlament angeschlossen haben. Daher waren sie inhaltlich nicht in die Gesetzgebungsarbeit des Parlamentes eingebunden. Voigt etwa ist Mitglied im durchaus wichtigen Ausschuss für bürgerliche Freiheiten und Justiz. Er ist zudem Mitglied der Parlamentariergruppe, die die Beziehungen zum Iran pflegt. Voigt gibt zwar gelegentlich im Parlament mündliche oder schriftliche Erklärungen ab, sonst ist er aber in den letzten fünf Jahren nicht in Erscheinung getreten.

Sonneborn fällt vor allem außerhalb des Parlaments auf

Das kann man von Martin Sonneborn nicht behaupten. Der Satiriker wurde durchaus wahrgenommen, aber nicht mit seinen parlamentarischen Aktivitäten. Sonneborn ist Mitglied im Kulturausschuss und in der Parlamentariergruppe, die die Beziehungen zur koreanischen Halbinsel pflegt. Helga Trüpel (Grüne), stellvertretendes Mitglied im Kulturausschuss, erinnert sich nicht daran, dass Sonneborn sich bei irgendeinem Thema konstruktiv in die Gesetzgebungsarbeit eingebracht hätte: „Er war im Parlament ein Totalausfall. Er hat sich lediglich in Videos über die EU und die Institutionen lächerlich gemacht.“

Andere Abgeordnetenkollegen erinnern sich an Smalltalk mit Sonneborn im Fahrstuhl des Parlaments und dass er zwar öffentlich über die Institutionen Witze reißt, aber das gute Kita-Betreuungsangebot der Institutionen durchaus für seinen Nachwuchs in Anspruch genommen habe. Der SPD-Abgeordnete Arne Lietz aus Sachsen-Anhalt weiß immerhin zu berichten, dass Sonneborn an einem Fachgespräch mit dem Botschafter Südkoreas teilgenommen habe und dem Diplomaten sogar eine inhaltliche Frage gestellt habe. Offensichtlich war Sonneborn da einmal nicht in einer Spaßphase.