Ein Garten, wusste schon der britische Autor Rudyard Kipling, entsteht nicht dadurch, dass man im Schatten sitzt. „Ja“, bestätigt auch Evelyn Kolakowski, „es ist immer etwas zu tun.“ Ein Garten erfordere Zeit, Engagement und Hingabe. „Aber ich genieße es auch mal, in der Hängematte zu liegen und dem Vogelgezwitscher zuzuhören.“ Natürlich nach getaner Arbeit, fügt sie schmunzelnd hinzu. Das ständige Unkrautjäten, Heckenschneiden und Rasenmähen empfinde sie jedoch als zutiefst beglückend: „Ich schaffe etwas mit meinen Händen und sehe das Ergebnis.“ Es sei ein schöner Ausgleich zu ihrem Bürojob.
Ihr kleines Paradies im Norden von Esslingen ist um die 320 Quadratmeter groß. Hier wachsen einige Obstbäume und verschiedene Gemüsepflanzen, blühen Blumen, sprießen Kräuter und Beerensträucher. „Dort sollen noch zwei Hochbeete hin“, sagt die 63-Jährige mit einer ausladenden Armbewegung. Neben der Gartenhütte ist ein Teich angelegt, davor laden Tisch und Stühle zum Verweilen ein, auf dem Rasen steht eine Spielzeugrutsche für die Enkel. Es ist ein ganz privater Rückzugsort. Und doch auch eine gesellschaftliche Verpflichtung.
„Bei aller Individualität haben wir Regeln für die Bewirtschaftung“, räumt die Vorsitzende der Gartenfreunde Seracher Höhe ein. So ist das Anbauen und Ernten von Obst und Gemüse ein Muss für alle, die einen Kleingarten in der Vereinsanlage pachten. Das Bundeskleingartengesetz von 1987 schreibt vor, dass dafür mindestens ein Drittel der Fläche reserviert ist. Ein weiteres Drittel ist für Rasen und Zierpflanzen – Stichwort Erholung – gedacht. Auf dem Rest des Gartens steht die Laube. Die darf allerdings höchstens 24 Quadratmeter groß sein und nicht dauerhaft bewohnt werden.
Wohl auch wegen solcher Vorschriften gelten Kleingartenanlagen als Spießerhochburgen. Doch das Image der Schrebergärtner wandle sich allmählich, sagt Evelyn Kolakowski im Brustton der Überzeugung. Ein Kleingarten passe sehr gut in die heutige Zeit, in der gesunde Ernährung, Nachhaltigkeit und Diversität immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Jeder soll sich nach den eigenen Bedürfnissen ausleben
Die Gartenfreunde Seracher Heide beweisen, welcher Gestaltungsspielraum möglich ist. In der gut 1,2 Hektar großen Anlage mit ihren 47 Parzellen finden sich keine streng durch Zäune abgetrennten Grundstücke, auf denen sich unkrautfreie Beete aneinanderreihen und der Rasen akkurat getrimmt ist. Vielmehr gleicht sie mit ihren Graswegen und dem üppigen Bewuchs einem Mix aus Bauern- und Landschaftsgarten. Hier hat jeder Pächter sein kleines Stück vom großen Glück mit ganz eigener Handschrift gestaltet. „Unsere Gärten sind wie unsere Wohnzimmer: Der eine mag es sehr ordentlich, der andere etwas weniger geordnet“, sagt Evelyn Kolakowski. Und das sei auch gut so: „Genauso unterschiedlich wie die Menschen sind ihre Arten zu gärtnern – und jeder soll sich nach den eigenen Bedürfnissen ausleben können.“
Sie selbst bewirtschaftet mit ihrer Familie seit Anfang der 1980er Jahre eine Parzelle auf der Seracher Höhe, wo schon ihre Oma zu den Pächtern gehörte. „Wer einmal zu uns gekommen ist, bleibt in der Regel für lange Zeit“, erzählt Evelyn Kolakowski, die den Gartenfreunden seit 2022 vorsteht. Pro Jahr gebe es gerade mal ein bis zwei Pächterwechsel. Freie Parzellen könne man schnell vergeben. „Es gibt eine Warteliste. Und uns erreichen immer wieder neue Anfragen von Interessierten.“ Um den Nachwuchs sorge man sich daher nicht. Eher schon darum, dass die Fläche am Rand eines Wohngebietes irgendwann bei potenziellen Investoren Begehrlichen wecken und vielleicht Bauland werden könnte.
Stolz verweist die Vereinsvorsitzende auf die lange Geschichte dieser grünen Idylle: Bis 1948 hatte die Stadt Esslingen das Gelände mit Aushuberde aufgefüllt, 1956 legte der Kleingartenverein Stadtmitte dort die ersten Parzellen an. Die anfangs noch nicht in einem eigenständigen Verein organisierten Anlagenpächter gründeten im Jahr 1973 schließlich die Gartenfreunde Seracher Heide, im Jahr darauf wurden sie in das Vereinsregister aufgenommen. „Wir können in diesem Jahr also unser 50-jähriges Bestehen begehen“, betont Evelyn Kolakowski. Das Jubiläum wird am 20. und 21. Juli auch groß gefeiert – und jedermann ist dazu willkommen. Akzeptanz und Respekt prägen nicht nur den Umgang mit der Natur, sondern auch das Verhältnis der knapp 90 Vereinsmitglieder untereinander. Man kennt sich, man hilft sich. Das 150 Jahre alte Hopfengartenhaus, der Mittelpunkt der Anlage, ist Treffpunkt für gemeinsame Aktivitäten wie den Obstbaumschnittkurs, das jährliche Hopfengartenfest oder die Saisonabschlussfeier. Auch Gäste sind bei Aktionen immer wieder gern gesehen – zum Beispiel an diesem Sonntag: Die Gartenfreunde laden am 9. Juni von 11 bis 18 Uhr in ihre kleinen Oasen ein und geben Interessierten gerne Tipps.
Gärten öffnen ihre Türen
Aktion
Mit zehn beteiligten Gärten ging es 2011 los, inzwischen findet die Aktion „Offene Gärten in Esslingen und im Mittleren Neckarraum“ des gleichnamigen Vereins zum 14. Mal statt. 29 Gartenbesitzer laden am Sonntag, 9. Juni, Interessierte von 11 bis 18 Uhr zu einem Besuch ihrer liebevoll gestalteten Paradiese ein. Von klein bis groß ist alles vertreten: Zu besichtigen sind Bauerngärten, Hausgärten, Familiengärten, Landschaftsgärten, Liebhabergärten, Naturgärten, Rosen- und Staudengärten sowie Kleingartenanlagen. Die Gäste können Eindrücke und Ideen sammeln sowie Fachgespräche mit den Gärtnern führen. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.
Teilnehmer
Im Kreis Esslingen können Neugierige mehrere Gärten besichtigen. An der Aktion beteiligen sich neben den Gartenfreunden Seracher Heide auch der Obst- und Gartenbauverein RSKN, die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen mit ihrem Lehr- und Versuchsgarten Braike sowie in Wendlingen der Museumsverein und der Obst- und Gartenbauverein, die sich um die Pflege der einst als Pfarrgarten genutzte Anlage beim Stadtmuseum kümmern. Zudem öffnen zahlreiche Privatleute in Esslingen, Aichelberg, Dettingen, Ohmden, Holzmaden, Kirchheim und Ostfildern die Türen zu ihren Gärten. Detaillierte Infos findet man online unter www.offenegaerten-esslingen.de.