Der Leiter des Klett-Cotta-Verlags, Tom Kraushaar, ist erleichtert, dass die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr stattfinden soll. Auch wenn manches anders werden wird als sonst.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Für den Stuttgarter Verleger ist das Frankfurter Branchentreffen weniger aus wirtschaftlichen Gründen von Bedeutung, sondern vor allem als Bühne des Verlagswesens und des Literaturbetriebs. Er hofft auf die zivilisierende Kraft der physischen Begegnung.

 

Herr Kraushaar, die Buchmesse, wie man sie kennt, bedeutet gerammelt volle Hallen, Menschen, die auf engstem Raum die Köpfe zusammenstecken, Empfänge und am Ende ein Erschöpfungsshowdown in die Grippe-Saison: Kann man so etwas in Corona-Zeiten riskieren?

Das, was wir bisher gewohnt waren, natürlich nicht. Über allem steht, dass wir mit der Messe kein Wagnis eingehen, dass keine neuen Infektionsherde entstehen. Aber da die verantwortlichen Behörden die Ausrichtung in einem bestimmten Rahmen für vertretbar halten, finde ich richtig, dass die Buchmesse und die Branche um Lösungen ringt. Die Messe ist keine x-beliebige Veranstaltung, sondern sehr wichtig für den Buchhandel und die Verlage, aber eben auch für die Öffentlichkeit. Es wäre deshalb auch fahrlässig, sie vorschnell abzusagen und dadurch langfristig ihre Bedeutung zu schmälern. Wir sind es der Messe schuldig, das Beste daraus zu machen.

Droht nach den Geisterspielen jetzt eine Geistermesse?

Sicher werden die Publikumstage ziemlich anders ausfallen als üblich. Doch was die Öffentlichkeit sieht, ist ja nur ein kleiner Teil. Es werden auch in diesem Jahr Gespräche und Begegnungen stattfinden. Erinnern Sie sich daran, welche wichtigen gesellschaftlichen Debatten hier in den letzten Jahren geführt wurden. Dafür bedarf es der zivilisierenden Kraft der physischen Begegnung.

Auch wenn dieser zivilisierenden Kraft die virologische Gefahr entgegensteht?

Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben mein Vertrauen in die Entscheidungen der Politik eher gestärkt. Insofern muss ich es mir nicht anmaßen, die Abwägungen der zuständigen Behörden in Hessen und Frankfurt grundsätzlich in Frage zu stellen. Zugleich versteht es sich natürlich von selbst, dass niemand verpflichtet wird, die Messe zu besuchen, weder Verlagsmitarbeiter noch Autorinnen oder Autoren.

Haben sich jetzt nicht wirtschaftliche Interessen gegen das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein durchgesetzt, für das die Messe auch steht?

Nein, denn die Buchmesse ist für uns Verlage vor allem mit hohen Kosten verbunden, denen in der Regel kein direkter Umsatz gegenübersteht. Wenn es nicht um den kulturellen Auftrag, sondern die rein wirtschaftlichen Interessen der Verlage ginge, würde den Verlagen eine Absage eher entgegenkommen. Durchgesetzt hat sich hingegen der Glaube an die Bedeutung eines öffentlichen kulturellen Lebens.

Welche Folgen hatte die Absage der Leipziger Messe für Ihren Verlag?

Ökonomisch hat uns das weniger getroffen. Wohl ging einer Reihe unserer im Frühjahr erschienenen Bücher die Aufmerksamkeit verloren. Die Bedeutung der Messe für die Verlage lässt sich aber nicht in einer Gewinn- und Verlust-Rechnung abbilden. Es ist ein Ausdruck von Branchensolidarität, dass wir dieses Großereignis mit unseren Beiträgen bewirtschaften. Damit geben wir dem Literaturbetrieb und dem Verlagswesen international eine Bühne.

Und wenn die zweite Welle kommt?

Dann findet die Messe nicht statt – auch wenn sich das erst einen Tag vor Beginn erweisen sollte. Das ist das Risiko für alle Beteiligten.

Zur Person

Tom Kraushaar, Jahrgang 1975, kennt alle Seiten des Verlegerlebens. Nach seiner Ausbildung bei Suhrkamp studierte er Literaturwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre in Berlin und war Assistent von Alexander Fest bei Rowohlt. 2005 stieg er bei dem von Michael Zöllner gegründeten kleinen Berliner Tropen-Verlag ein. Seit 2007 ist er in Stuttgart Verlegerischer Geschäftsführer von Klett-Cotta.