Auch Stuttgart ist vom Klimawandel betroffen. In der Innenstadt wird es künftig nicht nur tagsüber heiß werden. Grünflächen sollen geschaffen werden, um das innerstädtische Klima zu verbessern. Für die Bewohner gibt es Notfallpläne bei Hitze.

Stuttgart - Klimawandel – war da was? Die vergangenen kalten und regnerischen Junitage haben hierzulande wieder einmal Zweifel daran aufkommen lassen, dass es stetig wärmer wird. In Pakistan – und zuvor in Indien – fordert derzeit eine verheerende Hitzewellen viele Menschenleben. Weitere Indizien weisen klar darauf hin, dass sich die Klimaerwärmung auch in diesem Jahr massiv fortsetzen wird, nachdem 2014 als weltweit bisher wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in die Annalen eingegangen ist.

 

„Seit 2010 liegt die Bedeckung der Arktis mit Seeeis unter dem langjährigen Mittel – und 2015 scheint ein neues Rekordjahr zu werden“, stellte Andreas Walter vom Zentralen Klimabüro des Deutschen Wetterdiensts (DWD) bei einem Fachseminar zum Klimawandel im Stuttgarter Rathaus fest. In der Tat lag die mit Eis bedeckte Fläche rund um den Nordpol im April diesen Jahres wieder deutlich unter den Frühjahrswerten der Vorjahre. Der Rückgang des arktisches Seeeises ist verhängnisvoll, weil er einer weiteren Erwärmung der Erde Vorschub leistet: Die kleiner werdende weiße Eisfläche reflektiert weniger Sonnenlicht in das Weltall, gleichzeitig nimmt das dunkle Meer mehr Sonnenwärme auf.

Dass die Erde sich erwärmt, ist unter Klimaexperten unumstritten. Die Frage ist nur, wie schnell der Prozess vorankommt. Hier kommen unterschiedliche Klimamodelle zu unterschiedlichen Prognosen. „Deshalb müssen wir mit Bandbreiten arbeiten, um die Unsicherheiten der Modelle zu kommunizieren“, erklärt Walter. Die Unsicherheiten gehen allerdings keineswegs so weit, dass sich womöglich sogar eine Trendwende in der Klimaerwärmung abzeichnen könnte. Im Gegenteil: Wegen der nach wie vor deutlich steigenden Emissionen an Treibhausgasen und der weltweit nur sehr zögerlichen Entwicklung hin zu weniger Treibhausgasemissionen könnte sich die Erde noch kräftiger erwärmen als die moderaten – und damit politisch oft bevorzugten – Klimamodelle anzeigen.

Hitzetage werden zunehmen

Doch auch diese prognostizieren für Baden-Württemberg eine Fortsetzung des bisherigen Trends zu Erwärmung. So könnte es hierzulande gegen Ende des Jahrhunderts bis zu 3,6 Grad wärmer sein, lauten die regionalen Prognosen. Was dies konkret bedeutet, lässt sich gut am Beispiel der Hitzetage in Karlsruhe zeigen, weil die Stadt bundesweit über eine der längsten Messreihen verfügt.

So ist dokumentiert, dass im 25-Jahres-Zeitraum 1876 bis 1901 im Durchschnitt pro Jahr sechs Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad pro Jahr verzeichnet wurden. Derzeit müssen die Karlsruher bereits mit 20 Hitzetagen im Jahr rechnen, wie Kai-Achim Höpker von der baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz berichtet. Im letzten Viertel des 21. Jahrhunderts werden es wohl mehr als 40 Hitzetage sein. Dabei sind immer größere Gebiete der Stadt betroffen: „Bis zur Jahrhundertmitte könnten 32 Prozent und bis Ende des Jahrhunderts 95 Prozent der Fläche von Karlsruhe bioklimatisch hoch belastet sein“.

Vor allem wenn zu Tagestemperaturen von weit über 30 Grad auch noch tropische Nächte hinzukommen, in denen die Temperaturen nicht unter 20 Grad sinken, wird es in manchen Regionen in Baden-Württemberg ungemütlich. Dann steigt die Gefahr, dass bei solchen Hitzewellen vor allem ältere Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und Kinder unter fünf Jahren gesundheitlich geschädigt werden oder sogar sterben. Weitere Beeinträchtigungen wie etwa eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit kommen hinzu. „Potenzielle Vulnerabilität“ nennen das die Experten. „In Baden-Württemberg werden bereits bis Mitte des Jahrhunderts von 44 Stadt- und Landreisen 13 Kreise eine hohe potenzielle Vulnerabilität aufweisen“, sagt Höpker.

Menschen sind gesundheitlich gefährdet von der Hitze

Auch auf die Natur hat diese Entwicklung massive Auswirkungen, wie eine Analyse der Zukunftsperspektiven geschützter baden-württembergischer Biotope wie beispielsweise Moore oder Feuchtwiesen zeigt. Hier werden viele Lebensräume mit einem Klima zurechtkommen müssen, mit dem sie sozusagen keine Erfahrung haben. Entsprechend groß ist ihre Verletzlichkeit . „Bis Ende des Jahrhunderts gibt es keine Flächen mit geringer Vulnerabilität mehr“, prognostiziert Höpker. So werden zum Beispiel 83 Prozent der geschützten Biotopflächen im oberschwäbischen Voralpenland hoch vulnerabel sein, die restlichen 17 Prozent gelten als mittel vulnerabel.

Doch zurück zu den Menschen. Hier bereiten den Experten der zunehmende Hitzestress insbesondere im Raum Karlsruhe–Mannheim, in der Ortenau und im mittleren Neckarraum – und hier vor allem in Stuttgart – Sorgen. In diesen besonders vulnerablen Regionen sind Hitzepläne und Anpassungsmaßnahmen daher vordringlich, um vor allem die gesundheitlichen Gefahren für die Bevölkerung zu minimieren. Stuttgart ist dabei in der vergleichsweise komfortablen Situation, dass sich wegen der Kessellage in der Stadtverwaltung bereits seit 1938 eine eigene Abteilung um das Stadtklima kümmert. Ihre keineswegs einfache Hauptaufgabe: bei planerischen Veränderungen dafür zu sorgen, dass sich das Stadtklima nicht verschlechtert.

Frischluftschneisen in der Stadt und grüne Halbhöhenlagen sind dabei wichtige Bausteine. Das Bundesverwaltungsgericht habe dabei im vergangenen Dezember den städtischen Klimaexperten den Rücken gestärkt, wie Ulrich Reuter, der Leiter der Abteilung Stadtklimatologie, berichtet: In einem entsprechenden Urteil sei festgestellt worden, dass die Bewahrung des Stuttgarter Stadtklimas ein gewichtiger Beitrag zum Allgemeinwohl sei und damit Baurechte eingeschränkt werden dürften.

„Man muss um die Grünflächen kämpfen“

Bestehende Grünflächen zu erhalten und womöglich auszubauen ist deshalb das oberste Ziel der städtischen Klimaexperten. Einfach ist das nicht: „Man muss wirklich um die Grünflächen kämpfen“, weiß Reuter aus Erfahrung. So freut man sich über jeden Erfolg, etwa dass mittlerweile von den 250 Kilometern Gleisstrecke der Stadtbahn 50 Kilometer begrünt sind, dass gelegentlich genutzte Parkplätze nicht mehr asphaltiert sind oder dass Bäume an Einkaufsstraßen Schatten spenden. Es sind viele Mosaiksteinchen, die Stuttgart in Zukunft grüner machen sollen – beispielsweise begrünte Innenhöfe in nachverdichteten Stadtquartieren oder auch bepflanzte Dächer. Hier soll seit 2014 das Förderprogramm „Mehr Grün in der Stadt“ finanzielle Anreize setzen.

Der intensive Blick auf unumgängliche Strategien zur Anpassung an den Klimawandel könnte allerdings von den Bemühungen ablenken, die für die Erwärmung der Erde verantwortlichen Emissionen von Treibhausgasen zu senken. „Wir brauchen dringendst eine Trendwende bei diesen Emissionen“, fordert Benno Hain, der Leiter des Fachgebiets „Energiestrategien und Szenarien“ beim Umweltbundesamt. Deutschland sei dabei keineswegs so gut aufgestellt, wie vielfach angenommen wird. Beim Ziel, bis 2020 mindestens 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu produzieren, sei zwar gut zu erreichen. Die Absicht dagegen, den Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch auf 18 Prozent anzuheben, sei bei den derzeitigen gut zwölf Prozent noch in weiter Ferne. Offen ist auch, wie das Ziel erreicht werden kann, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken.

Die größten Sparpotenziale liegen hier im Wärmebereich, darin sind sich alle Experten einig. Vor allem muss der Heizbedarf von Gebäuden gesenkt und die Wärmeversorgung ökologischer werden. Hier können Städte wichtige Beiträge leisten – wobei sie vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Berlin unterstützt werden. Die Vorbildfunktion sei hier nicht zu unterschätzen, betont Tobias Held, der beim BBSR das Referat Wohnungs- und Immobilienmärkte leitet: „Wenn einer etwas tut, dann wirkt das ansteckend im umliegenden Quartier.“