Der ehemalige Stadtklimatologe Jürgen Baumüller hat über die Geschichte der Luftverschmutzung in Stuttgart referiert.

Dass Stuttgart kein Luftkurort ist, wusste man schon im 19. Jahrhundert. Überraschend drastisch beschrieb das der Dichter Nikolaus Lenau 1844 in einem Brief an eine Freundin. Lenau klagte über heftige Kopfschmerzen und schrieb: „Emilie will es nicht gelten lassen, daß die Stuttgarter Luft nichts als die Ausdünstung des Teufels sei; doch mir ist es zu auffallend, daß ich in Heidelberg frisch und gesund war und nun, kaum wieder nach Stuttgart gekommen, bresthaft und elend sein muss. Verdammtes Kloakenthal!“

 

Die Zeilen des Dichters sind Teil einer Abhandlung zur Geschichte der Stuttgarter Luftverschmutzung und Luftreinhaltung, die Jürgen Baumüller, bis 2008 Chefklimatologe der Stadt Stuttgart, kürzlich vorgelegt hat. Auf Einladung des Schwäbischen Heimatbunds hat Baumüller am Donnerstagabend in einem Vortrag diese „Zeitreise durch die Stuttgarter Luftverschmutzung“ eindrucksvoll nachgezeichnet.

Verantwortlich war auch die Industrialisierung

Die Geschichte der Luftverschmutzung ist in Stuttgart nicht nur eine Geschichte über den stetigen Kampf für bessere Luft im Kessel. Sie ist auch eine, die von den Beharrungskräften erzählt, die zu allen Zeiten trotz besseren Wissens von allzu einschneidenden Maßnahmen nichts wissen wollten. Schon Lenaus Brief schloss mit den Worten: „In vielen hiesigen Straßen riecht es am Ende – auch lenzhaft, nämlich pestilenzhaft. Und die guten Stuttgarter merken das gar nicht; süß duftet die Heimat.“

Verantwortlich für die sich immer weiter verschlechternde Luftqualität war neben der Kessellage die zunehmende Bevölkerungsdichte und die ab dem 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung: „Durch sie sind neue Schadstoffe hinzugekommen: Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid und Staub und in den letzten Jahrzehnten auch verstärkt Stickoxide“, erklärt Baumüller.

Schon der Stadtbaurat Karl Friedrich Kölle habe anlässlich der Stadterweiterung nach 1900, als es um die Bebauung der Hänge ging, betont, dass die Stadt „der horizontalen Durchlüftung“ bedürfe: „Wer dies nicht begreift, der gehe einmal, wenn Ostwind herrscht, auf die Höhe und beschaue sich die dicke Atmosphäre“, schrieb Kölle. Auch damals meinten Stadträte schon, es besser zu wissen und widersprachen dem Fachmann.

Bis Ende der 1960er Jahre hatte die Luftbelastung in Stuttgart insbesondere mit Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid stark zugenommen, so Jürgen Baumüller. Hauptquellen seien Hausheizungen, Kraftwerke und der zunehmende Kfz-Verkehr gewesen. Die Luftverschmutzung gipfelte am 22. Januar 1982 im ersten Smogalarm, der ausgerufen worden sei, ohne dass es für Stuttgart einen Smogalarmplan gab. „Das sorgte für einige Konfusion“, sagte Baumüller. „Die Schwefeldioxidkonzentrationen erreichten damals im Stadtgebiet bis zu 800 Mikrogramm pro Kubikmeter.“

OB Rommel war kein Freund von Fahrverboten

Baumüller erinnerte auch daran, dass in der Folge der „Stuttgarter Luft-Kampf“, so titelte die Stuttgarter-Zeitung 1988, begann und bis heute andauert: Regierungspräsident Manfred Bulling forderte damals, auf der Basis vorhandener Rechtsverordnungen, Straßensperrungen einzuführen. Was aber geschah, so der frühere Chefklimatologe, war „natürlich nichts“. Manfred Rommel, kein Freund von Fahrverboten, hielt stramm dagegen: „Wir können doch nicht einfach an 20 Tagen im Jahr die Stadt zumachen“, so der damalige Oberbürgermeister.

1990 sei dann der erste Luftreinhalteplan in Stuttgart auf Grundlage der EG-Richtlinie erstellt worden. Fahrverbote waren dennoch noch lange ein rotes Tuch. 2015 musste erst die Deutsche Umwelthilfe (DUH) einklagen, dass die Städte die geltenden Stickstoffdioxid-Grenzwerte auch tatsächlich einhalten, sagte Baumüller. Die Folge war unter anderem eine Verschärfung der Dieselfahrverbote.

Die Grenzwerte werden auch am Hotspot Neckartor eingehalten

Heute, so der Klimatologe, werden die Grenzwerte für die Feinstaubbelastung in Stuttgart auch am Hotspot Neckartor eingehalten. Ebenso beim NO2 (Stickstoffdioxid), wobei aktuell unklar sei, wie groß zuletzt der Einfluss der Coronapandemie war. Auch die Grenzwerte, die ab 2030 gelten sollen, würden bereits eingehalten. Die Windgeschwindigkeit in der Stadt, die für den Luftaustausch verantwortlich sei, gehe jedoch tendenziell zurück, betonte Baumüller. „Und sie wird wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten weiter abnehmen, wenn das Rosensteinquartier bebaut wird.“