Wissenschaftler haben das Klima der vergangenen 11 300 Jahre rekonstruiert. Die Temperaturkurve steigt nach der Eiszeit an und sinkt dann wieder. doch nun sind wir auf einem steilen Anstieg zu in diesem Zeitraum nie dagewesenen Temperaturen.

Stuttgart - Ernsthaft bestreitet kein Klimaforscher mehr, dass es auf der Erde in den letzten Jahrzehnten kräftig wärmer wurde. Allerdings war es bisher nicht so einfach, die steigenden Temperaturen in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, weil brauchbare und genaue Daten über das Weltklima nur für die letzten 1500 Jahre vorlagen. In den Augen eines Klimaforschers wie Shaun Marcott von der Oregon State University in den USA aber ist dieser vergleichsweise kurze Zeitraum als Grundlage für zuverlässige Analysen nicht so recht geeignet. Gemeinsam mit seinen Kollegen aus Oregon und von der Harvard-Universität in Massachusetts hat der Klimaforscher diese Basis daher jetzt in der Fachzeitschrift „Science“ kräftig erweitert.

 

Die Forscher stützen sich dabei auf 73 bereits vorhandene Untersuchungen im Eis der Antarktis, den Meeren vor den Küsten Südamerikas, Afrikas und Neuseelands sowie Seen in Skandinavien. Aus Korallen, den Schalen verschiedener Meeresorganismen oder Pflanzenpollen hatten Kollegen dort das Klima der jeweiligen Region für etliche Jahrtausende ermittelt. Mit allen Möglichkeiten der Statistik errechnen Marcott und seine Kollegen nun aus diesen Daten die durchschnittlichen Temperaturen in den vergangenen 11 300 Jahren.

Tiefste Temperaturen vor 200 Jahren

In den ersten 1800 Jahren dieses Zeitraums erholte sich das Weltklima offenbar noch von der letzten Eiszeit, und die Temperaturen kletterten um 0,6 Grad Celsius. In den nächsten 4000 Jahren veränderte sich wenig, und die Temperaturen lagen ungefähr 0,4 Grad Celsius über dem Wert, den Meteorologen für die Zeit von 1961 bis 1990 ermittelt haben und der eine Art internationaler Standard ihrer Zunft ist. In den letzten 5500 Jahren kühlten die Temperaturen dagegen langsam, aber sicher um insgesamt 0,7 Grad Celsius ab. Dieser Rückgang beschleunigte sich in den letzten tausend Jahren und erreichte zum Ende der Kleinen Eiszeit vor rund 200 Jahren die tiefsten Temperaturen in diesem Zeitraum.

Die lange Abkühlung traf aber nur die Regionen nördlich der Tropen. Im großen Rest der Welt änderten sich die Temperaturen dagegen kaum. „In dieser Zeit befand sich die Erde in einer Position, in der die Nordhalbkugel im Sommer etwas weniger Sonne abbekam“, fasst Shaun Marcott die Hintergründe dazu zusammen.

Theoretisch sollte die Bahn der Erde gerade in unseren Tagen die Voraussetzung für die tiefsten Temperaturen dieser Abkühlung schaffen. Stattdessen aber beobachten die Forscher genau das Gegenteil: Maßen sie zwischen 1900 und 1909 noch Temperaturen, die kühler als fast alle Perioden der gut 11 000 Jahre davor waren, hat das Klima in den vergangenen hundert Jahren die 0,7 Grad Abkühlung der 5000 Jahre davor in einer rasanten Entwicklung wieder wettgemacht. Marcott kennt nur einen Faktor, der diesen für die vergangenen 11 300 Jahren unvergleichbar raschen Temperaturanstieg erklären kann: „In den letzten hundert Jahren nahm der Ausstoß von Kohlendioxid durch menschliche Aktivitäten ebenfalls rasant zu“, erklärt der Forscher. Am Ende ihrer Studie wagen die Wissenschaftler noch einen Ausblick: Auch wenn die Menschheit in nächster Zeit überall auf der Erde den Klimawandel mit aller Kraft zu bremsen versucht, wird sie nicht verhindern können, dass die Erde im Jahr 2100 deutlich wärmer als zu allen Zeiten seit der letzten Eiszeit sein wird.