Zwei Journalisten klagen gegen das Umweltbundesamt, denn die Behörde hat sie als „Klimawandelskeptiker“ gerügt. Darf ein Amt so urteilen? Und müssen Journalisten nicht auch Klimaforscher hinterfragen? Ein Überblick zur Debatte und ein Kommentar.

Stuttgart - Als im Mai der Klimaforscher Lutz Wicke der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview gab, kam Kritik von hoher Stelle. Wicke hatte von seinen Fachkollegen mehr politischen Einsatz gefordert. Eigentlich gehe es darum, katastrophale Störungen des Weltklimas zu verhindern, doch „zu ihrer Verhinderung haben die Forscher fast nichts getan“. Wicke ist Professor in Berlin, war aber auch wissenschaftlicher Direktor im Umweltbundesamt. Von dort kam nun die Kritik. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter attestierte ein Nutzer Lutz Wicke ein „eher ‚vorsintflutliches‘ Verständnis der Rolle der Wissenschaft“, und der Präsident des Umweltbundesamts, Jochen Flasbarth, kommentierte: „Diplomatisch ausgedrückt!“

 

Zumindest offiziell gibt es eine breit akzeptierte Aufgabenteilung zwischen Wissenschaft und Politik. Ein Beispiel ist das Zweigradziel, auf das sich die Vereinten Nationen verständigt haben: Die Staatengemeinschaft will den Temperaturanstieg von bisher 0,8 Grad über dem vorindustriellen Niveau auf zwei Grad begrenzen. Das Ziel wird nicht von der Wissenschaft vorgegeben, es stellt eine politische Abwägung dar: Auf der einen Seite stehen die Kosten für die Reduktion der CO2-Emissionen, auf der anderen Seite die erwarteten Schäden durch zunehmende Wetterkatastrophen. Was die Forschung beisteuert, sind Abschätzungen der Kosten und Risiken.

Journalisten fühlen sich an Big Brother erinnert

Doch nun werfen zahlreiche Journalisten dem Umweltbundesamt vor, es habe seine Kompetenzen überschritten und mit staatlicher Autorität in die öffentliche Debatte eingegriffen. Anlass ist eine Broschüre mit dem trotzigen Titel „Und sie erwärmt sich doch“, die das Amt kürzlich herausgegeben hat. Darin geht es zwar um wissenschaftliche Fragen: etwa die Frage, ob das Klima extremer wird. Die sorgfältig formulierte Antwort: der Klimawandel werde „voraussichtlich zu Veränderungen der Stärke, der Häufigkeit, der räumlichen Ausdehnung und der Dauer von Extremwetterereignissen führen“. Doch auf Seite 113 geht es zur Sache: Dort werden einige Journalisten für ihre skeptischen Berichte zum Klimawandel gerügt – ein Politikum. Der für das Umweltbundesamt zuständige Minister Peter Altmaier (CDU) hat sich dazu geäußert: In der „Welt am Sonntag“ sagte er, dass er nichts Ehrenrühriges daran erkennen könne, wenn das Umweltbundesamt Kolumnen kommentiere. In der Broschüre steht unter anderem, dass die „Welt“-Kolumnisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch für Beiträge bekannt seien, „die nicht mit dem Kenntnisstand der Klimawissenschaft übereinstimmen“. (Maxeiner und Miersch betreiben auch das Blog „Die Achse des Guten“.)

Journalisten haben das deftig kommentiert. Der „Welt“-Kolumnist Henryk Broder fühlte sich an die Reichskulturkammer der Nazis erinnert, Josef Joffe, Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, an das Wahrheitsministerium aus George Orwells Roman „1984“. Auch der Verband der deutschen Wissenschaftsjournalisten, die Wissenschafts-Pressekonferenz, hat sich zu Wort gemeldet. Man wolle zwar nicht am Klimawandel zweifeln, doch eine Behörde dürfe nicht „bestimmte wissenschaftliche Positionen quasi amtlich als wahr beurkunden“, heißt es in einer Mitteilung.

Maxeiner und Miersch schreiben etwa über die „Klimagläubigen“: Sie hätten „aus der These von der dräuenden Klimakatastrophe ein Dogma gemacht“. Dieser Tonfall ist charakteristisch; die Autoren kritisieren auch die „Klima-Angst“ und den „politisch korrekten Forschungsbetrieb“. Zum Klimawandel sagt Miersch, der beim Magazin „Focus“ arbeitet: „Das sind Hypothesen, und man sollte auch Wissenschaftler hören, die zu anderen Ergebnissen kommen. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt: Es gab immer auch Mehrheiten, die sich irrten.“

Das Amt freut sich über robuste Debatten

Wie ist es dann zu verstehen, wenn das Umweltbundesamt Miersch und einigen Kollegen vorwirft, ihre Aussagen würden nicht mit dem Stand der Klimaforschung übereinstimmen? Die Journalisten stellen durchaus zentrale Erkenntnisse der Klimaforschung infrage und lassen sich von der wissenschaftlichen Autorität nicht beeindrucken. Doch der Verband der Wissenschaftsjournalisten liest aus der Broschüre eine klare Kritik heraus: Ein Journalist, der den Stand der Klimaforschung nicht wiedergibt, mache seine Arbeit nicht richtig. „Ein solches Urteil steht einer Behörde nicht zu“, sagt der Verbandsvorsitzende Martin Schneider, Redakteur beim SWR.

Zu den Aufgaben des Umweltbundesamts gehört die „Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen“. Die Behörde beruft sich in einer Stellungnahme auf Facebook darauf und fordert die Journalisten auf, auch Kritik von staatlichen Stellen zu ertragen. „Wir begrüßen jede öffentliche Debatte über den Klimawandel – gerne auch robust und mit Leidenschaft geführt“, heißt es dort. Der Sprecher Stephan Haufe ergänzt, dass man sich einen kritischen Umgang mit der Wissenschaft wünsche. „In der Broschüre wollten wir zeigen, wie breit das Spektrum der Positionen ist, und sind dabei auch auf Positionen eingegangen, deren Einschätzung wir fachlich kritisch sehen.“ Man habe damit keinem Journalisten die Meinung verboten.

Für Martin Schneider ist dennoch die Pressefreiheit berührt: „Als Wissenschaftsjournalisten müssen wir sensibel sein, wenn versucht wird, uns für bestimmte Standpunkte zu vereinnahmen“, sagt er. Journalisten müssten auch etablierte Forscher infrage stellen, um ihrer Aufgabe als kritische Beobachter gerecht zu werden.

Miersch und Maxeiner sind gegen das Umweltbundesamt vor Gericht gezogen. „Das darf man ihm nicht durchgehen lassen“, sagt Miersch. Er will eine einstweilige Anordnung erreichen – es sei für ihn der erste Prozess seines Lebens.

Kommentar: Warten auf Einstein

Zu den Pflichten jedes Wissenschaftlers gehört die Offenheit für Überraschungen. Wer sich nicht immer wieder selbst hinterfragt, läuft Gefahr, von der Natur ausgetrickst zu werden. Es ist leicht, in den Messdaten das zu sehen, was man dort sehen möchte. Wissenschaftler müssen daher auf Vielfalt setzen und dürfen Erkenntnisse nur akzeptieren, wenn sie von verschiedenen Forschergruppen bestätigt werden. Und selbst dann kann ein unkonventioneller Kopf wie Albert Einstein noch das Fach aus den Angeln heben.

Dieses Argument wird oft vorgebracht, um kritische Fragen aus Öffentlichkeit und Medien zu begründen. Wenn die Wissenschaft selbstsicher auftritt, wie es etwa die Klimaforschung tut, erinnert man sie daran, dass ihr Theoriengebäude im nächsten Moment einstürzen könnte. Doch man darf das nicht übertreiben. Wissenschaftliche Revolutionen sind erstens selten, und sie kündigen sich zweitens an. Zu Einsteins Zeiten war die Verunsicherung der Physiker mit Händen zu greifen. Manches Experiment war spektakulär gescheitert, und einige Kollegen hatten schon radikale Theorien entworfen, um sich das zu erklären.

Auch in der Klimaforschung gibt es offene Fragen. Doch der Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Temperaturanstieg ist zuverlässig ermittelt worden. Wer hier kritische Fragen stellen möchte, sollte mehr bieten als den Hinweis, dass Selbstkritik wichtig ist. Der Philosoph Karl Popper hat dazu dieses Bild geprägt: Die Wissenschaft errichte Theoriengebäude gewissermaßen in sumpfigem Gelände. Sie müsse dazu die Pfeiler sehr tief in den Boden rammen – aber nicht bis zum eventuellen felsigen Grund, sondern gerade so tief, dass das Gebäude solide steht. (Die Passage aus Poppers Buch „Logik der Forschung“ wird zum Beispiel hier zitiert.)