Faktisch gibt es Klimaflüchtlinge, juristisch gibt es sie noch nicht. Der Menschenrechtsausschuss der UN hat einen ersten Schritt gemacht, dass sich das ändert. Dazu gibt es keine Alternative, kommentiert Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Mit Zahlen lassen sich bekanntlich Emotionen erzeugen. Von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis zum Jahr 2040 spricht die Umweltorganisation Greenpeace in einer Studie, die Weltbank hält bis 2050 immerhin 140 Millionen Klimaflüchtlinge für denkbar. Gemessen an den knapp zwei Millionen Schutzsuchenden, die derzeit in Deutschland leben, sind das fürwahr galaktische Größenordnungen. Und so ist es kein Wunder, dass erwartbare Reflexe ausgelöst wurden, als der UN-Menschenrechtsrat unlängst erstmals den Fluchtgrund Klimawandel anerkannt hat. Das UN-Gremium selbst bezeichnete seine Entscheidung als „historisch“. In Deutschland erklärt die AfD es sei „wahnwitzig, das Klima vorzuschieben, um Millionen von Afrikanern einzuladen.“ Beide Reaktionen sind gleichermaßen übertrieben, von Bedeutung ist die UN-Entscheidung gleichwohl – zumindest langfristig.

 

Premiere beim verbot der Abschiebung

Im ganz konkreten Fall hatte der Menschenrechtsausschuss, dem eine größere Bedeutung zukommt, als sein Name vermuten lässt, die Klage eines Mannes aus Kiribati abgelehnt. Der sieht seine Pazifik-Insel dem Untergang geweiht und hatte in Neuseeland vergebens Asyl beantragt. Kiribati habe genügend zum Schutz seiner Bürger getan, Neuseeland mit dem verweigerten Asyl keine Menschenrechte verletzt, so der Ausschuss. Zugleich stellte das Gremium aber fest, dass in anderen Fällen durchaus Abschiebungen verboten sein könnten, wenn das Leben des Flüchtlings in ihrer Heimat klimabedingt akut bedroht sei. Das ist auf der eine Seite eine Binsenweisheit, weil solch ein Verbot der Abschiebung auch in anderen Konstellationen gelten würde – und sei es als humanitärer Abschiebeschutz. Das besondere daran ist jedoch, dass das Abschiebeverbot zum ersten Mal ausdrücklich in Verbindung mit Klimawandel erwähnt wurde.

Deutschland gehört zu den mehr als 170 Staaten, die sich bereit erklärt haben, die Entscheidungen des Ausschusses anzuerkennen. Das aktuelle Votum hat zwar keine bindende Wirkung, aber es ist dazu geeignet, eine Diskussion voranzutreiben – und eine neue Anspruchsgrundlage zu entwickeln. Bisher gibt es Asyl vor allem nach den Regeln der Genfer Konvention. Schutz wird demnach bei Gefahren gewährt, die vom Menschen ausgehen, zum Beispiel bei Verfolgung wegen Rasse, Religion oder der politischen Einstellung. Die Zusammenhänge des Klimawandels sind zu komplex, um einen klaren Verantwortlichen zu finden – es fehlt schlicht ein klar definierter Urheber der Verfolgung. Die Idee, die 1951 verabschiedete Genfer Flüchtlingskonvention auch auf Klimaflüchtlinge anzuwenden, hatte ein neuseeländisches Gericht schon 2016 – den Ansatz dann aber verworfen. Mit der UN-Entscheidung wird die Diskussion an Fahrt gewinnen, die Konvention in diesem Sinne zu ergänzen. Auch wenn das noch Jahre benötigen wird, genau das ist es, was die Entscheidung so wertvoll macht.

Die Diskussion ist unbequem – aber notwendig

Beispiele für ähnliche Entwicklungen gibt es. Die Berechtigung der Staatengemeinschaft in die Hoheit anderer Staaten einzugreifen, wenn sie ihre Bürger nicht vor Menschenrechtsverletzungen schützen, ist erst zu Beginn des Jahrtausends entwickelt und 2005 bestätigt worden. Heute gilt die so genannte Schutzverantwortung als anerkannt. Dem Asylgrund Klima kann und wird es ebenso ergehen. Wenn Fluten hier oder Hitze dort die Lebensgrundlagen zerstören, werden sich die Menschen auf den Weg machen, eine neue Heimat zu finden. Es mag unbequem sein, darüber zu diskutieren. Aber es ist nur vernünftig, dies zu erkennen und bei Zeiten den Versuch zu machen, alles in rechtlich geordnete Bahnen zu lenken. Völlig unabhängig davon, wie viele Millionen Klimaflüchtlinge es denn dereinst geben wird.