Getreide oder Mais? Stuttgarter Wissenschaftler wollen ihre Klimamodelle detaillierter machen und integrieren daher solche Fragen.

Stuttgart - Maisfelder bis zum Horizont, und das auf der Schwäbischen Alb? Das ist kein abwegiges Zukunftsszenario, denn Mais kommt gut mit Hitze und Trockenheit zurecht, und auch in Baden-Württemberg wird sich der Klimawandel bemerkbar machen. "Aber letztlich wissen wir es noch nicht, weil unsere Modelle zu ungenau sind", sagt Thomas Berger von der Universität Hohenheim.

 

Die meisten Klimamodelle sind so global wie die Verhandlungen auf den UN-Klimagipfeln: Sie operieren mit Verallgemeinerungen und Durchschnittswerten. Wenn etwa auf einem UN-Gipfel beschlossen wird, die vom Klimawandel stark betroffenen Entwicklungsländer mit 100 Milliarden Dollar im Jahr zu unterstützen, ist damit noch lange nicht klar, woher das Geld für diesen Klimafonds kommt und wie es ausgegeben wird. In ähnlicher Weise lässt sich zwar ermitteln, wie sich der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen auf die Temperatur und den Meeresspiegel auswirken wird, doch was das für einzelne Regionen wie die Schwäbische Alb heißt, bleibt offen.

Fachübergreifendes Projekt

In den vergangenen Jahren haben sich Klimaforscher auch den regionalen Szenarien zugewandt. Thomas Berger und seine Kollegen gehen nun in einem Projekt, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerade bewilligt hat, ebenfalls in diese Richtung. In neun Teilprojekten wollen sie die Klimamodelle detaillierter und damit auch komplizierter machen - obwohl jetzt schon Supercomputer benötigt werden, um mit den Modellen Zukunftsszenarien zu berechnen.

Es ist ein fachübergreifendes Projekt: von der Meteorologie über die Ökologie bis zur Wirtschaftswissenschaft sind sehr unterschiedliche Disziplinen vertreten. Berger ist Ökonom und wird versuchen, die Landwirte in die Klimamodelle zu integrieren, genauer gesagt ihre Entscheidungen über Investitionen und darüber, wie sie die Felder bewirtschaften. In Umfragen geben die baden-württembergischen Bauern an, dass sie den Klimawandel als das bedeutendste Risiko der kommenden Jahre einschätzen. Und Berger gibt ihnen recht. Er schreibt dem Klimawandel eine ähnlich große Bedeutung zu wie den Weltmarktpreisen für Weizen, Mais oder Hirse: Wenn sich das Klima wandelt, stellt das die Landwirte vor ähnlich große Probleme wie das plötzliche Ansteigen der Mais- und Weizenpreise in den Jahren 2007 und 2008.

Reaktionen der Landwirte beeinflussen das Klima

In früheren Studien hat Berger festgestellt, dass nur die größeren, gut aufgestellten Betriebe des Landes in der Lage sein dürften, sich an das künftige Klima anzupassen. Im neuen Projekt möchte er diesen Zusammenhang genauer untersuchen. Nicht nur mit Blick auf das Land, sondern die ganze Welt: "Eine Milliarde Menschen arbeitet in landwirtschaftlichen Kleinstbetrieben", sagt er. Vor allem in Afrika südlich der Sahara und in Südostasien sieht er die Bauern in Not: "Die Anpassungsfähigkeit der dort lebenden Bauern wird überschritten."

Die Reaktionen der Landwirte beeinflussen wiederum das Klima - und das in einer komplexen Weise, die in den Klimamodellen noch nicht berücksichtigt wird. Wenn Weizen reift, verdunstet er zum Beispiel weniger Wasser. Dadurch steigt über dem Weizenfeld mehr heiße Luft auf, was in der Höhe die Wolkenbildung anregt - und letztlich Sommergewitter hervorrufen kann. Doch reifer, gelber Weizen reflektiert auch mehr Sonnenlicht, was wiederum die Luft über dem Feld kühlt. "Ob sich die beiden Prozesse gegenseitig aufwiegen oder nicht, wollen wir genau messen", sagt Bergers Kollege Thilo Streck aus dem Fachgebiet Biogeophysik. Er plant daher Messungen auf Äckern der Schwäbischen Alb und im Kraichgau.

Richtlinien für die Vergabe der Mittel festlegen

In den Klimamodellen wird der Einfachheit halber meist nur mit einer einzigen Feldfrucht gerechnet, die sich das Jahr über auch nicht verändert. Dabei reift Weizen bei hohen Temperaturen beispielsweise früher und wird daher früher gelb. In Versuchskammern, bei denen sich das Klima genau einstellen lässt, werden die Hohenheimer Forscher auch untersuchen, wie sich die Pflanzen verhalten, wenn CO2-Gehalt und Temperatur steigen. Parallel dazu würden sie Projekte vorbereiten, um ihre in Baden-Württemberg ermittelten Erkenntnisse dann auf andere Länder zu übertragen, sagt Streck, der Sprecher des Projekts.

Solche Ergebnisse könnten für die Politik von Interesse sein, denn ein auf einem Klimagipfel ausgehandelter Masterplan muss auf die unterschiedlichen Regionen der Welt angepasst werden. Wenn die Industriestaaten den Entwicklungsländern bei der Umstellung auf ein wärmeres Klima helfen möchten, müssen sie Richtlinien für die Vergabe der Mittel festlegen: Welche Projekte lohnen sich, welche sollte man lieber nicht unterstützen, weil sie den Klimawandel weiter antreiben?

Die Landwirtschaft ist bei solchen Berechnungen ein notorisch wackeliger Faktor, deshalb wird sie in vielen Statistiken nicht berücksichtigt. Bei welcher Nutzung ein Boden zum Beispiel Kohlendioxid speichere und wann er in der Summe eher Treibhausgase abgebe, sagt Streck, sei - bis jetzt - weitgehend ungeklärt.

Ist es beim Klimaschutz wirklich fünf vor zwölf?

Vereinbarung: Seit Beginn der Industrialisierung ist die Temperatur im weltweiten Durchschnitt um 0,8 Grad gestiegen. Auf dem UN-Klimagipfel 2010 haben sich die Staaten darauf verständigt, den Anstieg auf zwei Grad zu begrenzen. Denn die Wahrscheinlichkeit schwerer Schäden durch Naturkatastrophen nähme bei einer Erwärmung von drei oder vier Grad deutlich zu.

Konsequenzen: Physikalisch lässt sich berechnen, dass in diesem Jahrhundert nur noch rund 750 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen dürfen, wenn man den Temperaturanstieg auf zwei Grad begrenzen will. Auf der Website www.climateactiontracker.org tragen Forschungsinstitute die internationalen Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz zusammen. Nach den derzeitigen Äußerungen der einzelnen Staaten dürften die Bemühungen nur reichen, um den Temperaturanstieg auf 3,5 Grad zu begrenzen.

Debatte: Stephan Singer von der Umweltschutzorganisation WWF in Brüssel bezeichnet den Ansatz des globalen CO2-Budgets als konsequent. Wenn man an dem Zweigradziel festhalten wolle, seien die Emissionen physikalisch begrenzt, sagt er. Wie man die Emissionsrechte auf die Länder verteile, sei eine zweite Frage. Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig nennt das Zweigradziel hingegen politisch. Er empfiehlt, sich nicht zu starr an einem Treibhausgasbudget zu orientieren, weil man so den Spielraum bei den Verhandlungen zum Klimaschutz einenge.

Ausblick: Beim derzeitigen Ausstoß von Treibhausgasen wäre das CO2-Budget für das ganze Jahrhundert in 20 bis 25 Jahren erschöpft. Zehn Staaten produzieren derzeit 21,5 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr (siehe Grafik); sie allein würden das Budget in 35 Jahren aufzehren. Und die Emissionen steigen. Klimaschützer fordern daher eine rasche Umkehr des derzeitigen Trends. Zudem werden Maßnahmen diskutiert, um die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern.