Klimaschutz Klimaexperten kritisieren Landesregierung

Wegen des Klimawandels nehmen Wälder weniger CO2 auf als notwendig. Foto: Silas Stein/dpa

Klimasachverständigenrat geht mit Landesregierung hart ins Gericht. Sein ambitioniertes Ziel aus dem Koalitionsvertrag habe Grün-Schwarz weit verfehlt, mahnen die Experten.

Entscheider/Institutionen: Annika Grah (ang)

Es war zu erwarten, dass der Klimasachverständigenrat mit der Landesregierung in seiner letzten Stellungnahme vor der Landtagswahl hart ins Gericht gehen würde. Das Urteil der Vorsitzenden Maike Schmidt: Grün-Schwarz sei seinem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden, Baden-Württemberg zum internationalen Maßstab für Klimaschutz zu machen. „Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass es der Landesregierung nicht gelungen ist, die im Klimagesetz formulierten erforderlichen Landesmaßnahmen aufzusetzen, um zurück auf den Zielpfad beim Klimaschutz zu gelangen“, sagte Schmidt am Freitag bei der Vorstellung des jährlichen Berichts.

 

Experten sehen Ministerpräsident Kretschmann in der Pflicht

Eigentlich hatten sich Grüne und CDU im Klimaschutzgesetz vorgenommen, Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Landesregierung von ihrem Pfad zur Klimaneutralität „erheblich“ abweicht. Der Klimasachverständigenrat hatte das schon vor einem Jahr festgestellt und ein Sofortprogramm gefordert. Das Landeskabinett hat sich aber um einen Beschluss zu dem Thema herumgewunden. Vor allem die CDU-Seite hatte Zweifel an der „Erheblichkeit“ der Abweichung. „Wir hätten erwartet, dass Klimaschutz zur Chefsache gemacht wird“, sagte Schmidt. Stattdessen hatte Kretschmann die Diskussion im Frühjahr beendet.

Die Vorsitzende des Klimasachverständigenrats Maike Schmidt. Foto: dpa

Baden-Württemberg hat sich per Gesetz vorgenommen bis 2040 klimaneutral zu werden. Bis 2030 sollen die Treibhausgase im Vergleich zum Wert im Jahr 1990 um 65 Prozent reduziert werden. Im Bericht für das Jahr 2024 stellte der Klimasachverständigenrat wiederholt fest, dass diese Reduktion zum Erreichen der Ziele zu langsam sinken. Die bisher erreichte Minderung beträgt 33 Prozent. Um das Ziel für 2030 zu erreichen, müsste der Treibhausgasausstoß noch einmal halbiert werden, betonte Schmidt.

Wälder nehmen zu wenig CO2 auf

Die Dinge entwickelten sich in allen Bereichen wie vorhergesehen: Wegen der Auswirkungen des Klimawandels hätten wichtige sogenannte Senken, die CO2 aufnehmen sollten, ihre Funktion schon seit 2018 weitgehend verloren, heißt es in dem Bericht. Zu den Treibhausgassenken gehören Wälder, aber auch Moore.

Im Energiebereich sanken die Emissionen weiter – unter anderem wegen des Rückgangs bei der Kohleverstromung. Auch im Gebäudebereich setzte sich der Rückgang fort, allerdings nehmen die Experten wahr, dass weniger eingespart wird. Um die Zielmarke bis 2030 erreichen zu können, müsse der jährliche Rückgang fast verdreifacht werden. Auch in der Industrie sanken die Emissionen wegen der niedrigeren Produktion. Schmidt sieht darin keine nachhaltige Entwicklung. Erhebliche Verfehlungen erwarten die Experten indessen in der Landwirtschaft. Dort fehlten gezielte klimapolitische Maßnahmen. Sorgenkind bleibt der Verkehrsbereich, der sich nach wie vor auf dem Niveau von 1990 bewegt. Zwar lobten die Experten das dieses Jahr verabschiedete Landesmobilitätsgesetz, das auch den öffentlichen Nahverkehr stärken soll. Doch der Verkehrsbereich ist nach wie vor für rund ein Drittele aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Pkws mit Verbrennungsmotor emittierten fast ebenso viel wie der gesamte Energiesektor in Baden-Württemberg, heißt es in dem Bericht.

Temperaturanstieg doppelt so hoch wie weltweit

Gleichzeitig sind die Folgen des Klimawandels im Land spürbar. 2024 sei mit 10,56 Grad das drittwärmste Jahr seit 1881 gewesen. Der Temperaturanstieg durch den Klimawandel sei mit 2,7 Grad fast doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt (1,3 Grad). „Je länger wir warten, desto gefährlicher, schwieriger und teurer wird es“, mahnte Schmidt. Man beobachte mit großer Sorge, dass der Klimaschutz zunehmend aus politischen Debatten und von der Agenda verschwinde.

Die Sachverständigen forderten zudem, dass Klimaschutz durch die Landesregierung sozialverträglich gestaltet werde. Bislang profitierten etwa von Förderprogrammen nur Menschen, die sich auch entsprechende Investitionen wie eigene Immobilien oder E-Autos leisten könnten. „Wir brauchen dringend Instrumente zur Entschärfung des sozialen Konfliktpotenzials von Klimaschutzmaßnahmen“, sagte Schmidt. Zudem müsse die Landesregierung in der kommenden Legislaturperiode mit stringentem Klimaschutz den Erhalt des Industriestandorts in Baden-Württemberg stärken – unabhängig davon, wer regiere.

Dafür Applaus erhalten die Sachverständigen aus der Wirtschaft: Manuel Geiger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Unternehmer Baden-Württemberg sagte nach der Veröffentlichung, der Verband halte zwar den Sonderweg mit besonders ambitionierten Klimazielen in Baden-Württemberg für riskant. Der Verband begrüße aber ausdrücklich, „dass sich der Klima-Sachverständigenrat für eine Ausweitung der Landesmaßnahmen zur gezielten Unterstützung von Transformationsprozessen zur klimaneutralen Produktion stark macht.“

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