Die Stadt weist Vorwürfe der SPD zurück, der OB habe bei der Energiebilanz getrickst. Die Genossen wollen derweil ein Investitionsprogramm für die Stadtwerke in Höhe von einer Milliarde Euro auflegen, um die Energiewende voranzubringen.

Stuttgart - Hat OB Fritz Kuhn (Grüne) in der Klimaschutzdebatte Zahlen schöngerechnet? Diese Frage hat die SPD-Fraktion im Gemeinderat schon vor der kommunalpolitischen Sommerpause aufgeworfen. Kuhn hatte in der Generaldebatte des Gemeinderats zum Klimaschutz im April eine insgesamt positive Bilanz seiner Klimaschutzpolitik gezogen. Unter anderem, so Kuhn damals, habe die Stadt 2017 den Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 31 Prozent reduziert. SPD-Fraktionschef Martin Körner, potenzieller Konkurrent Kuhns bei den OB-Wahlen im kommenden Jahr, wollte es genau wissen. Wie kann es sein, dass Stuttgart so viele Tonnen Kohlendioxid eingespart hat, wo doch landesweit der Rückgang der Treibhausgase nur bei elf Prozent liege, fragte Körner die Verwaltung – und erhielt zunächst keine Antwort.

 

Nun hat die Verwaltung reagiert. Des Rätsels Lösung liegt in unterschiedlichen Berechnungsmethoden verschiedener Klimaschutzbilanzen, die nebeneinander existieren, aber mit unterschiedlichen Prämissen arbeiten. Da ist zum einen die Energiebilanz der Landeshauptstadt, die von der Stadt schon seit vielen Jahren erhoben wird: Sie umfasst ausschließlich den Primär- und Endenergieverbrauch innerhalb der Stuttgarter Gemarkung und berücksichtigt weder Autobahntrassen noch Fernzugverbindungen, auch nicht den Schiffs- und Flugverkehr. Begründung: Es handele sich hierbei um „Transittrassen“. „Die städtische Energiebilanz ist seit Jahren unsere Vergleichsbasis, daran hat sich der OB gehalten“, sagt Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne).

Unterschiedliche Berechnungsmethoden bringen unterschiedliche Zahlen hervor

Der Masterplan Klimaschutz dagegen, den der Gemeinderat erst 2017 auf den Weg gebracht hat, folgt einer anderen Systematik. In dem Programm, das durch das Bundesumweltministerium finanziell gefördert wird und eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2050 um 95 Prozent zum Ziel hat, bilanzieren die teilnehmenden Kommunen ebenfalls ihren Endenergieverbrauch und die Reduzierung der Treibhausgase. Allerdings spielt hier der Sektor Verkehr eine große Rolle. Durch die Einbeziehung von Autobahnabschnitten auf städtischer Markung, der Binnenschifffahrt sowie des Flug- und Schienenfernverkehrs erhöht sich der Energieverbrauch in dieser Bilanz – die CO2-Einsparungen fallen entsprechend geringer aus. So weist das Ergebnis nach dieser Methode etwa für 2014 Treibhausgasemissionen von 5,15 Millionen Tonnen und damit eine Einsparung von knapp 22 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 aus. Im städtischen Energiebericht liegt der Ausstoß dagegen nur bei knapp 4,7 Millionen Tonnen CO2, die Einsparquote liegt dementsprechend höher bei 27 Prozent.

Der Streit über die richtigen Vergleichszahlen ist freilich nur vordergründig. Die bei der Kommunalwahl von 9 auf 7 Mandate gestutzte SPD versucht, am Nimbus der grünen Wahlsieger als Klimaschutzpartei Nummer 1 zu kratzen und sich selbst auf dem Feld der Umweltpolitik zu profilieren. Noch 2018 hatte die SPD gemeinsam mit den bürgerlichen Fraktionen einen Vorstoß der Ökofraktion blockiert, eine Art Klimakonto für die nächsten Jahre aus den Haushaltsüberschüssen 2017 mit mehr als 110 Millionen Euro zu bestücken. Der Vorstoß sei mit der SPD nicht abgesprochen gewesen, hieß es zur Begründung. Anfang 2019 dann hielten die Genossen ein von den Grünen vorgeschlagenes Klimaschutzprogramm in Höhe von 55 Millionen Euro für unzureichend – und forderten stattdessen 300 Millionen Euro. Und auch das noch vor der Sommerpause von OB Kuhn geschnürte Klimaschutzprogramm im Umfang von 200 Millionen Euro war der SPD nicht gut genug.

SPD: Stadtwerke sollen in den nächsten 10 Jahren eine Milliarde Euro investieren

Ihr Fraktionschef Martin Körner fordert nun etwa eine Investitionsoffensive der städtischen Stadtwerke. Während etwa die Münchener Stadtwerke bis 2025 rund sechs Milliarden Euro investierten, um den Bedarf der Stadt komplett auf Ökostrom umzustellen, seien die Ausgaben der Stadtwerke Stuttgart zwischen 2014 und 2019 „beschämend rückläufig“. Zumindest die Zahlen der Jahre 2016 und 2017 des städtischen Tochterunternehmens, die im Beteiligungsbericht enthalten sind, geben dem SPD-Vormann recht: 2016 belief sich die Investitionssumme auf acht Millionen, ein Jahr später auf ganze fünf Millionen Euro. Körner schlägt für die kommenden zehn Jahre ein Investitionsprogramm von einer Milliarde Euro vor, das aus in Spezialfonds geparkten Geldanlagen der Stadt (300 Millionen Euro) und Krediten (700 Millionen Euro) finanziert werden soll. „Die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir deutlich mehr in erneuerbare Energien investieren als heute“, ist Körner überzeugt.