Das Tief Mitteleuropa tritt diesen Sommer auffallend häufig auf. Wetterexperten sehen darin Anzeichen für den Klimawandel. Ihre Prognose: Wenn Regen kommt, wird er mit anderer Heftigkeit kommen.

Stuttgart - Klimaforscher und ihre Kollegen von den Wetterdiensten reagieren normalerweise ablehnend, wenn sie in einer Hitzewelle oder nach schweren Unwettern gefragt werden, ob das die Zeichen des Klimawandels seien. Denn kurzfristige Wetterphänomene oder auch mehrtägige Großwetterlagen sagen, für sich genommen, nichts aus über langfristige Klimaentwicklungen. Das gilt auch für die gewaltigen Sommerunwetter, die am Sonntagabend in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Teilen Bayerns große Schäden angerichtet haben.

 

Doch der Deutsche Wetterdienst (DWD) schaut sich auch über längere Zeiträume die Häufigkeit bestimmter Großwetterlagen an. Auffallend finden die Wetterforscher in diesem Sommer das besonders häufige Auftreten einer Großwetterlage mit dem Namen Tief Mitteleuropa, kurz TM. „Für uns ist das ein weiteres Zeichen des Klimawandels“, resümierte Gerhard Lux, der Sprecher des DWD in Offenbach.

Unbeständiges und feuchtes Wetter in Deutschland

Tief Mitteleuropa ist, so der Deutsche Wetterdienst, eine „ansonsten eher seltene Großwetterlage“. In diesem Jahr herrschte sie bereits an 19 Tagen. Was Tief Mitteleuropa bedeuten kann, war im Jahr 2002 zu beobachten: Nach – über Monate verteilten – 29 Tagen mit dieser Wetterlage folgte im August die große Elbeflut.

Tief Mitteleuropa ist, was der Name sagt: Ein Tiefdruckgebiet mit feuchtwarmer Luft, das oft über Tage hinweg fast unbeweglich über Mitteleuropa liegt. In Deutschland bedeutet das unbeständiges, feuchtes Wetter, das im Sommer mit Starkregen verbunden sein kann, der, da er kaum weiterzieht, Wasserläufe und in Städten die Kanalisation überfordert. Die Statistik des DWD spricht eine eindeutige Sprache: Um 1950 notierten die Meteorologen acht bis zehn Mal im Jahr die Großwetterlage Tief Mitteleuropa. Heute sind es neun bis 15 Mal, und bis 2100 rechnet der DWD mit im Durchschnitt 10 bis 17 Mal im Jahr.Müssen wir also künftig mit nassen Sommern rechnen? Genau das Gegenteil sei der Fall, sagte auf einer Klima-Pressekonferenz im Mai 2012 Klaus-Jürgen Schreiber, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung des Deutschen Wetterdienstes. Die langfristige Entwicklung führe im Sommer „zu mehr Trockenheit und tendenziell mehr Dürren, Niedrigwasser und Risiken im Wassermanagement“.

Langfristig werden die Sommer trockener

Der Widerspruch sei nur ein scheinbarer, erklärt Lux. „Das Problem ist nicht, dass Feuchtigkeit hergezaubert wird, wo keine ist.“ Der gesamte Niederschlag in Deutschland ändere sich durch den Klimawandel nur um fünf bis zehn Prozent, von rund 800 Litern pro Quadratmeter und Jahr auf rund 880. „Die normale Schwankungsbreite von Jahr zu Jahr ist viel größer.“ Das Problem sei: „Die Struktur wird sich ändern.“ Der Regen kommt zu anderen Zeiten und mit anderer Wucht.

Die Großwetterlage Tief Mitteleuropa ist nur eine von mehreren, deren Häufigkeit sich zur Zeit ändert. Schreiber nennt zwei weitere. Die gemeinsame Ursache der Veränderung sei, dass sich im Zuge des Klimawandels die Hauptwindsysteme der Erde in Richtung der Pole verschöben – seit Mitte des 20. Jahrhunderts um etwa 180 Kilometer. Für Deutschland bedeute das: Im Winter wird es milder.

„Nasse Wetterlagen mit milder, südwestlicher Luftströmung“ gibt es bisher an rund 20 Tagen im Jahr. Bis 2100 werden es rund zwölf Tage mehr werden, vor allem im Winter, sagt Schreiber. „In den Sommermonaten hingegen sinkt die Anzahl dieser Wetterlagen.“ Das bedeutet die Gefahr von Überschwemmungen im Winter, dagegen Trockenheit im Sommer.Seltener wird eine Großwetterlage, die Jürgen Schreiber als „kalte Schauerlagen aus Nordwest“ beschreibt. Statt an 35 Tagen im Jahr, wie bisher, wird es diese Lage bis 2100 nur noch an 25 Tagen geben. Diese Wetterlage sorgt normalerweise zum Teil für ein Wetter, das Bauern richtig lieben: anhaltende Schauer und Nieselregen im Sommer. Aber sie bringt auch höchst unerwünschte Spätfröste. Beides wird seltener werden: der Nieselregen und der Spätfrost.

Die Regenzeiten werden sich Richtung Winter verschieben

Schreibers Fazit: die vorliegenden Beobachtungen seit 1950 lassen sich in die Zukunft berechnen und „bis zum Jahr 2100 mit Szenarien seriös abschätzen“. Die Regenzeiten, so Schreiber, werden sich Richtung Winter verschieben, aber sowohl im Winter wie im Sommer wird der Regen, wenn er kommt, häufiger heftig kommen, verbunden mit Unwettern und Überschwemmungsgefahr.

Das ist besonders im Sommer für die Landwirtschaft schlecht, wie man in diesem Jahr sehen konnte: Das Frühjahr war trocken. Die Böden waren staubig und hart. Wenn dann der Regen nicht fein nieselt, sondern unwetterartig vom Himmel stürzt, fließt er ab und nützt den Pflanzen wenig. Zudem begleitet ihn heftiger Wind, der das nasse Getreide flach legen kann. Im schlimmsten Fall kommt Hagel hinzu. DWD-Sprecher Lux sagt es so: „Der Klimawandel bringt mehr Dampf in die Atmosphäre.“ Und mit Dampf meint er nicht nur Wasser, sondern auch Wucht und Gewalt.