In Straßburg kommt es zu einer Kampfabstimmung über die Pläne der EU-Kommission. Die will Atomkraft und Gas als umweltfreundliche Energien einzustufen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Kurz vor der Entscheidung rühren die Gegner der umstrittenen Taxonomie die ganz große Werbetrommel. „Ruft bei den Abgeordneten in den Wahlkreisen an. Bleibt sachlich, habt die besseren Argumente zur Taxonomie und kommt ins Gespräch mit ihnen“, forderte der CDU-Europaparlamentarier und Umweltpolitiker Peter Liese während einer Veranstaltung im Internet auf.

 

Die Unruhe im Parlament ist groß

Die Unruhe unter den Abgeordneten ist ungewohnt groß, denn sie haben es am Mittwoch in der Hand, die Pläne der EU-Kommission zu durchkreuzen, die Investitionen in Atomkraft und Gas als klimafreundlich einstufen will. Über Monate hatten die Gegner dieser sogenannten Taxonomie Stimmen für ihr Vorhaben gesammelt. Was anfangs noch völlig aussichtslos schien, rückt inzwischen unerwartet in greifbare Reichweite. Zuletzt lehnten der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss des Parlaments knapp die Taxonomie in ihrer vorliegenden Form ab. „Wir haben inzwischen rund 290 Abgeordnete, die dagegen stimmen werden“, sagt Michael Bloss von den Grünen. Das aber ist zu wenig, denn benötigt wird die absolute Mehrheit von 353 Stimmen im 705 Sitze zählenden Parlament.

Die Taxonomie als Leitfaden für Investoren

Der erbitterte Streit um die Taxonomie ist in der Silvesternacht des Jahres 2021 losgebrochen. Kurz vor Mitternacht veröffentlichte die EU-Kommission das höchstumstrittene Papier. Die Taxonomie soll Investoren und Banken einen Leitfaden geben, welche Technik in Sachen Klima als nachhaltig einzustufen ist. Sie hat daher für die Finanzbranche, aber auch für Deutschland insgesamt große Bedeutung, da immer mehr Investoren nur in grüne Technologien einsteigen wollen. Vor allem auf Drängen von Frankreich, wurde die Atomkraft in die Taxonomie aufgenommen, Deutschland machte sich für Gas stark.

Die Abgeordneten sind verärgert

Die Parlamentarier waren verärgert über das in ihren Augen selbstherrliche Vorgehen der Kommission. Viele der Abgeordneten machten danach ihre eigene Position deutlich und es zeigte sich, dass sich die Grenzen bei diesem Thema quer durch alle Fraktions- und Ländergruppen ziehen. Selbst viele der als sehr wirtschaftsfreundlich eingestuften konservativen Abgeordneten lehnen den Leitfaden ab. „Am Markt gibt es schlichtweg keinen Appetit für eine Taxonomie mit Kernenergie und Gas“, erklärte Markus Ferber nach der Abstimmung im Wirtschaftsausschuss. Der CSU-Europaabgeordnete ist wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. „Eine Taxonomie, die vom Markt nicht akzeptiert wird, ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist“, lautet sein vernichtendes Fazit.

Grüne lehnen die Taxonomie an

Die Grünen, die als einzige Fraktion im Parlament den Vorschlag geschlossen ablehnen, haben nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein neues, sicherheitspolitisches Argument an die Hand bekommen. Der schnelle Abschied Europas vom Gas sei nicht nur besser für das Klima, sondern beende auch die Abhängigkeit von russischen Energieimporten, erklärt Michael Bloss, stellvertretendes Mitglied im Umweltausschuss. Die EU habe die Chance, eine globale Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen und mit der Taxonomie „den Goldstandard für Investitionen in die klimaneutrale Wirtschaft“ zu setzen, sagt er.

Eine Klage gegen die Taxonomie ist möglich

Die EU-Kommission hat den Aufstand der Abgeordneten allerdings nicht nur durch das provozierende Timing der Veröffentlichung befeuert. Die Taxonomie wurde als sogenannter Delegierter Rechtsakt angelegt. Das heißt, dass das Parlament und auch die Mitgliedstaaten dem Rechtsakt nicht zustimmen müssen. Sie können ihn lediglich durch ihren Einspruch blockieren. Das aber hat viele der Abgeordneten zusätzlich empört, weil sie sich schlicht übergangen fühlten. Auch wenn die Blockade im Europaparlament am Mittwoch scheitern sollte, wollen die Gegner der Taxonomie weiterkämpfen. Sie haben bereits eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt.