Die Stadt Herrenberg betreibt enormen Aufwand, um trotz des Klimawandels ein Baumsterben zu verhindern. Von Hamburg bis München werden für Forschungsprojekte widerstandsfähige Gehölze gepflanzt. Kaum eines von ihnen ist heimisch.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Die Silberlinde zählt zu den Favoriten auf den Titel Baum der Zukunft. Wird es ihr zu heiß, dreht sie die Blätter ihrer Krone. Deren Unterseite ist hell, beinahe weiß und reflektiert die Sonnenstrahlen. Auf diese Art schützt der Baum sich in der Sommerhitze vor dem Austrocknen. Allerdings stehen Naturschützer mit Argwohn vor der Silberlinde. Sie ist ein pflanzlicher Einwanderer. Ursprünglich wuchs sie nur in Südosteuropa und Kleinasien. Öko-Aktivisten argwöhnen, dass sich deutsche Vögel und Insekten auf ihr unwohl fühlen. Belege dafür gibt es aber zumindest bisher keine.

 

Ohnehin wird die Ausbreitung dieses und anderer Exoten sich nicht vermeiden lassen. „Unsere heimischen Baumarten sind den Herausforderungen nicht mehr gewachsen“, sagt Christoph Stotz. Er trägt im Herrenberger Rathaus den Titel Baumkontrolleur. Mit den Herausforderungen sind die Folgen des Klimawandels gemeint. Die spürbarste von ihnen ist, dass die Zahl der Tage steigt, an denen das Thermometer mehr als 30 Grad anzeigt. Bis 1990 zählte der Deutsche Wetterdienst im Schnitt sieben solcher Hitzetage pro Jahr. Seither hat sich ihre Zahl verdoppelt. 2015 waren es schon 31, 2018 gar 36 Tage mit hierzulande ungewohnter Hitze.

Der älteste Baum in Herrenberg wächst seit mehr als 350 Jahren

Der älteste Baum in Herrenberg ist eine Eiche, die vor mehr als 350 Jahren zu sprießen begonnen hatte. Auf dem Alten Stadtfriedhof wachsen Eichen und Buchen, deren Alter Stotz auf 150 bis 200 Jahre schätzt. Wie viele Bäume in Herrenberg stehen, weiß niemand. Für rund 10 000 hat der Baumkontrolleur die Verantwortung. So viele könnten im Fall eines Astbruchs oder gar Kippens Menschenleben gefährden. Mindestens einmal im Jahr werden sie oberflächlich, im Fall eines Verdachts eingehend geprüft. Die Gefahren werden im Gefolge der Erderwärmung wahrscheinlicher. Seit Jahren sinkt der Grundwasserpegel. Wegen der Trockenheit reißt die Rinde. Durch die Risse dringen wiederum Schädlinge ein.

Besonders gefährdet sind Ahorn, Linde und Platane. Eben diese drei Arten stehen in dieser Reihenfolge am häufigsten im Stadtgebiet. Ihr Leiden ist zunehmend auch für Laien erkennbar, wenn die Gehölze „den Grenzbereich ihrer Leistungsfähigkeit erreichen“, wie Stotz es ausdrückt. Sie verlieren im Sommer ihre Blätter oder treiben im Frühling nicht aus. Unter den verschärften innerstädtischen Bedingungen sind solche Schäden Alltag, vereinzelt erreichen sie auch schon den Forst. Um ein Baumsterben zu verhindern, treibt die Stadt enormen Aufwand. Im Erdreich stecken sogar Sensoren, die Wassermangel melden. Funken sie Alarm, rücken Mitarbeiter zum Gießen aus.

Bei Forschungsprojekten ist das Land Bayern besonders rege

Solche Probleme hat Herrenberg selbstredend nicht allein. Von Hamburg bis München beteiligen sich Städte an Forschungsprojekten zur Widerstandsfähigkeit von Baumarten. Bereits 2005 hatte das erste von ihnen begonnen. Längst hat sich in den Dokumentationen der Begriff „Zukunftsbaum“ durchgesetzt. Besonders rege ist das Land Bayern. Dort beteiligen sich 35 Kommunen an einem Projekt, das bezeichnenderweise „Neue Bäume braucht das Land!“ betitelt ist. Fest zu stehen scheint, dass der Zukunftsbaum kein deutscher sein wird. 30 verschiedene Arten pflanzten die Bayern, um langfristige Erkenntnisse über deren Robustheit und Gedeihen zu gewinnen. Alle sind in Asien, Nordamerika oder Osteuropa heimisch.

Auch in Herrenberg können Baumkundige bereits die Gehölze einer wärmeren Zukunft besichtigen, im Ottoschen Garten. Dort wachsen der Japanische Schnurbaum, die Kaukasische Flügelnuss und der Amerikanische Amberbaum.