Die EU-Kommission verschiebt ihren politischen Schwerpunkt vom Green Deal in Richtung Wirtschaft. Europaabgeordnete kritisieren das, auch angesichts des Hochwassers in Mittel- und Osteuropa.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Politik wird bisweilen sehr schnell von der Realität eingeholt. Am Dienstag stellte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Straßburg ihr neues Team und die Themenschwerpunkte für die kommenden fünf Jahre vor. Darin wird der Klima- und Umweltschutz deutlich zurückgestutzt. Der gesamte Green Deal rückt in den Hintergrund, das Augenmerk der EU-Kommission liegt nun auf der Unterstützung von Europas Wirtschaft und Sicherheit.

 

Am Tag darauf wurde dann das Tagungsprogramm des Europaparlaments umgeworfen und der Aktualität angepasst. Die Abgeordneten diskutierten nun über das verheerende Hochwasser in Mittel- und Osteuropa. Die Wassermassen hinterlassen in Österreich, Polen, Rumänien und Tschechien eine Spur der Verwüstung. Fast zwei Millionen Menschen sind nach Angaben von EU-Kommissar Janez Lenarcic in den vergangenen Tagen von den Überschwemmungen betroffen gewesen. „In nur wenigen Tagen fiel das Drei- bis Vierfache der durchschnittlichen monatlichen Niederschlagsmenge“, so der für Krisenprävention zuständige Politiker in einer Rede im Europaparlament in Straßburg. Diese Tragödie sei keine Anomalie. Sie werde schnell zur Norm für die Zukunft, sagte Lenarcic. Es brauche mehr Schutz.

Klimaschutz und sauberes Wachstum

Viele Parlamentarier fürchten allerdings, dass diese Aufgaben angesichts der zukünftigen, eher industriepolitischen Ausrichtung der EU-Kommission hintangestellt werden. „Unwetterkatastrophen, die Dörfer wegspülen, Dürren, die die landwirtschaftliche Existenz bedrohen, und eine Wirtschaft, die bei Innovation und Klimatechnologien anderen Kontinenten hinterherläuft“, resümierte der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss, „die Herausforderungen für diese Kommission sind enorm, und die neue Truppe von Ursula von der Leyen ist nicht hinreichend darauf ausgerichtet.“

Vom EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra erwartet der umweltpolitische Grünen-Sprecher Michael Bloss, dass er „nun liefern muss“. Der Niederländer bleibt in seinem Amt, sein Zuständigkeitsbereich wird aber neu zugeschnitten und soll künftig Klima und sauberes Wachstum verknüpfen. Und auch er betonte den wirtschaftlichen Aspekt seines Ressorts. „Um den Klimawandel zu bekämpfen und unsere Wirtschaft voranzubringen, müssen wir beides näher zusammenbringen“, erklärte Hoekstra im Nachrichtendienst „X“. Den Green Deal soll künftig die Spanierin Teresa Ribera betreuen – und auch bei ihr besteht die enge Verbindung zur Industriepolitik, denn sie ist gleichzeitig Wettbewerbskommissarin.

Schnelle EU-Hilfe für Flutopfer

Während die meisten Parlamentarier am Mittwoch bei der Diskussion erwähnen, warum es immer häufiger zu solchen Katastrophen kommt, und was getan werden kann, um sie zu verhindern, halten nicht alle Redner im Europaparlament den Kampf gegen den Klimawandel für notwendig. So forderte die nationalkonservative Politikerin Kinga Gal aus Ungarn vor allem Geld von der EU für den Hochwasserschutz. Angesichts der aktuellen Katastrophe müssten die Finanzmittel unbürokratisch freigemacht werden. Auch der polnische Abgeordnete Michal Dworczyk von der nationalkonservativen PiS-Partei erwähnt den Klimawandel in seiner Rede mit keinem Wort. Auch er fordert ausschließlich Geld von der EU für die Opfer des Hochwassers.

Die Hilfe der EU für die überfluteten Gebieten läuft allerdings bereits auf Hochtouren. Das gelingt relativ reibungslos, weil die Europäische Kommission vor fünf Jahren das EU-Katastrophenschutzverfahren angesichts der zunehmenden Bedrohungen verbessert hat. Das Programm „rescEU“ wurde als europäische Notfallreserve eingerichtet und umfasst zum Beispiel eine Flotte von Löschflugzeugen und Hubschraubern. Allein im Jahr 2023, wurde die Hilfe mehrere dutzend Mal abgerufen, wobei 110 Millionen Euro ausgegeben wurden. Zum Einsatz kamen die Kräfte auch nach dem Überfall Russlands bei mehreren Katastropheneinsätzen in der Ukraine.

Inzwischen hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, am Donnerstag in das Hochwassergebiet in Polen zu reisen. Der polnische Regierungschef Donald Tusk habe die CDU-Politikerin dazu eingeladen, teilte die EU-Kommission mit. Unter anderem soll von der Leyen ein Krisenzentrum besuchen.