Fast 160 000 Kubikkilometer Eis beherbergen die Gletscher der Welt – die Eisschilde Grönlands und der Antarktis ausgenommen. Der Okjökull in Island gehört nicht mehr dazu. Er ist komplett abgeschmolzen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Reykjavik - Opfer der Erderwärmung: Island hat erstmals einen Gletscher offiziell für „tot“ erklärt. Die Eismassen auf dem 700 Jahre alten Okjökull seien stark abgeschmolzen, daher gelte er formal nicht mehr als Gletscher. Schuld sei der menschengemachte Klimawandel, erklärten Wissenschaftler bei einer Abschiedszeremonie für den Okjökull.

 

Der Okjökull hatte bereits 2014 seinen Status als Gletscher verloren. Mit nur noch 15 Metern Eisdicke ist er zu leicht geworden, um sich vorwärts zu schieben. Um als Gletscher zu gelten, muss das Eis 40 bis 50 Meter dick sein und sich unter seinem Eigengewicht bewegen.

Wasserversorgung vieler Länder ist gefährdet

Weltweit verlieren schmelzende Gletscher jährlich rund 335 Milliarden Tonnen Eis. Zu diesem Schluss kommen Forscher aus Zürich, die Satellitenmessungen und Beobachtungen vor Ort ausgewertet haben.

Die Forscher um Daniel Farinotti von der Universität Zürich schreiben in einer Studie im Fachjournal „Nature Geoscience“, die Welt verliere damit jährlich rund drei Mal das verbleibende Gletschervolumen der Europäischen Alpen. Die Gletscher hätten zwischen 1961 und 2016 mehr als 9000 Milliarden Tonnen Eis verloren.

Die Forscher schätzen das Eisvolumen von 215 000 Gletschern auf 158 000 Kubikkilometer. Das seien 18 Prozent weniger als der Durchschnitt früherer Schätzungen. Das Meereis und die zusammenhängenden Eisschilde Grönlands und der Antarktis ließen sie außer Acht. Rund die Hälfte der übrigen Gletscher liege in den arktischen Gebieten etwa von Nordamerika und Russland.

Die Gletscher des Himalayas und weiterer Gebirge Hochasiens haben nach den neuen Schätzungen zusammen nur 7000 Kubikkilometer Eis, ein Viertel weniger als bislang geschätzt. Damit sei zu befürchten, dass die Gletscherfläche dort schon in den 2060er – und nicht wie bisher angenommen in den 2070er Jahren – um die Hälfte geschrumpft sein werde. Das habe Konsequenzen für die Wasserversorgung. Die Gletscher Hochasiens speisen große Flüsse wie Indus, Tarim und die Zuflüsse des Aralsees. Davon hängen wiederum Hunderte Millionen Menschen ab.

Rapider Anstieg des Meeresspiegels

„Aufgrund dieser Neueinschätzung müssen wir davon ausgehen, dass die asiatischen Hochgebirge ihre Gletscher schneller verlieren können als bisher angenommen“, betont Farinotti. Insgesamt würde der Meeresspiegel um bis zu 32 Zentimeter ansteigen, wenn alle Berggletscher abschmelzen. Schmilzt Grönlands Eisschild komplett, würden die Weltmeere um rund sieben Meter

Anfang August hatte der Weltklimarat IPCC in einem Sonderbericht festgestellt, dass der weltweite Temperaturanstieg über den Landflächen im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits bei 1,53 Grad liegt.

Islands Gletscher schmelzen dahin

Nach Angaben von Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, hat Island seit den 1990er Jahren bereits mehr als zehn Prozent seiner gesamten Gletschermasse verloren. „Die Gletscherschmelze erhöht den Meeresspiegel ungemein.“

Allein das bisherige Schmelzen der isländischen Gletscher habe einen Millimeter zum weltweiten Anstieg des Meeresspiegels beigetragen. Boetius hat einen anschaulichen Vergleich: „Wenn alle Menschen der Welt gleichzeitig ins Meer springen, dann steigt der Spiegel nicht einmal um einen Millimeter.“