Atomkraft und Gas sollen nach den Vorstellungen des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses im EU-Parlament nicht als umweltfreundlich gelten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Im Europaparlament herrscht plötzlich eine Stimmung wie im Fußballstadion. Frenetischer Jubel brandet auf, als das Abstimmungsergebnis aufleuchtet. Der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss lehnten am Dienstag mit knapper Mehrheit die Pläne der EU-Kommission ab, Gas und Atomstrom als klimafreundliche Investitionen einzustufen. Vor allem die Abgeordneten der Grünen feiern den Ausgang wie einen Sieg, doch im Juli muss noch das gesamte Parlament über die Vorlage abstimmen. Mit einer Mehrheit dort könnten die Abgeordneten die umstrittenen Pläne kippen.

 

Ein Lockmittel für Investoren

Seit Monaten tobt ein Streit über die sogenannte Taxonomie. Die EU-Kommission hatte darin Kernenergie und Gas als klimafreundlich eingestuft. Die Taxonomie soll Investoren und Banken einen Leitfaden geben, welche Technik als nachhaltig einzustufen ist. Sie hat daher für die Finanzbranche, aber auch für Deutschland insgesamt große Bedeutung, da immer mehr Investoren nur in grüne Technologien einsteigen wollen. Vor allem auf Drängen von Frankreich wurde die Atomkraft in die Taxonomie aufgenommen, Deutschland machte sich für Gas stark.

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Die wahrscheinliche Ablehnung der Taxonomie im Parlament ist nur möglich geworden, weil die Grenzen bei diesem Thema quer durch alle Fraktions- und Ländergruppen laufen. Selbst viele der als sehr wirtschaftsfreundlich eingestuften konservativen Abgeordneten lehnen den vorgeschlagenen Leitfaden ab. „Am Markt gibt es schlichtweg keinen Appetit für eine Taxonomie mit Kernenergie und Gas“, erklärte Markus Ferber nach der Abstimmung. Der CSU-Europaabgeordnete ist wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. „Eine Taxonomie, die vom Markt nicht akzeptiert wird, ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist“, lautet sein vernichtendes Fazit.

Die Grenzen gehen durch die Fraktionen

Joachim Schuster, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten, hat bereits die anstehende Abstimmung im Parlament im Blick. Dann werde es sich zeigen, „wie ernst es den Abgeordneten mit dem Umwelt- und Klimaschutz in Europa wirklich ist“, sagte er. Allerdings werden sehr wahrscheinlich auch nicht alle sozialistischen Abgeordneten seiner Fraktion gegen die Taxonomie stimmen. Viele Parlamentarier aus den osteuropäischen Ländern unterstützen die Aufnahme von Atomkraft als nachhaltige Energieform.

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Ungeteilter Jubel herrscht allein bei den Grünen. Michael Bloss, stellvertretendes Mitglied im Umweltausschuss, sagte nach der Abstimmung: „Das ist ein guter Tag für Europas Energiewende und das Ökosiegel der europäischen Finanzbranche.“ Die EU habe die Chance, eine globale Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen und mit der Taxonomie „den Goldstandard für Investitionen in die klimaneutrale Wirtschaft“ zu setzen. Der Grünen-Politiker Rasmus Andresen unterstrich, dass es nicht nur um eine „glaubhafte Klima- und Umweltpolitik“ geht. Die Investitionen in „Gasprojekte verlängern unsere Abhängigkeit von Russland“ ruft das Mitglied des Energieausschusses in Erinnerung.

Die EU-Kommission stellt sich ein Bein

Die EU-Kommission hat sich in diesem Fall aber selbst ein Bein gestellt, da sie viele Parlamentarier gegen sich aufgebracht hat. Die Taxonomie wurde als sogenannter Delegierter Rechtsakt angelegt. Das heißt, dass das Parlament und auch die Mitgliedstaaten dem Rechtsakt nicht zustimmen müssen. Sie können ihn nur durch ihren Einspruch blockieren. Das hat viele der Abgeordneten empört, weil sie sich schlicht übergangen fühlten. „Die EU-Kommission muss lernen, dass sie nicht am Parlament vorbeiregieren kann und unsere Vorschläge ernst nehmen muss“, erklärt SPD-Mann Joachim Schuster sichtlich zufrieden.

Die Kritiker der Taxonomie haben nun drei weitere Wochen Zeit, im Parlament die nötigen 353 Stimmen von insgesamt 705 Stimmen zusammenzusammeln, um die Taxonomie endgültig zu Fall zu bringen. Das wäre für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine große Demütigung, die sich für die Aufnahme von Atom und Gas in die Liste starkgemacht hat. Sie müsste dann einen neuen Vorschlag auf den Tisch legen.