Viel Kohlendioxid lässt die Gletscher im tiefen Süden noch viel schneller als vermutet schmelzen. Allerdings lässt sich kaum abschätzen, wie groß das Risiko für das antarktische Eis tatsächlich ist.

Stuttgart - Eine der großen Unbekannten im Klimawandel ist die Reaktion der mächtigen Eisschilde in den Polarregionen auf den steigenden Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre. Enthält doch allein der Eispanzer über der Antarktis genug Wasser, um den Meeresspiegel um 61 Meter ansteigen zu lassen, sollte er komplett schmelzen. Das aber würde selbst so weit landeinwärts gelegene Städte wie Berlin und Köln zu einem großen Teil fluten. Allerdings konnten Klimaforscher bisher kaum abschätzen, wie groß das Risiko für das antarktische Eis tatsächlich ist.

 

Ein wenig Licht in das Dunkel bringen jetzt zwei Analysen, die Richard Levy vom staatlichen Geoforschungsinstitut GNS in Lower Hutt in Neuseeland und Edward Gasson von der Universität Massachusetts im US-amerikanischen Amherst gemeinsam mit einer Reihe von Kollegen aus aller Welt in der Zeitschrift „PNAS“ präsentieren: 21 bis 13 Millionen Jahre vor der heutigen Zeit schwankte die Erde einige Male zwischen Klimaverhältnissen, wie sie vor Beginn der Industrialisierung herrschten, und den Bedingungen, die der Weltklimarat IPCC bis zum Ende des Jahrhunderts erwartet. Parallel zu den Klimaschwankungen zogen sich die Eismassen damals so weit zurück und stießen anschließend wieder so weit vor, dass der Meeresspiegel um 30 bis 36 Meter stieg und wieder fiel.

Diesen enormen Schwankungen kamen die Forscher auf die Spur, als sie auf dem achteinhalb Meter dicken Meereis 30 Kilometer vor der Küste des McMurdo-Sounds in der Ostantarktis einen Bohrturm errichteten. 380 Meter unter dem Meeresspiegel bohrte sich das Gerät im Oktober und November 2007 weitere 1137,84 Meter tief in den Untergrund. Die unteren 925 Meter dieses Bohrkerns hatten sich vor 20,2 bis 14,4 Millionen Jahren Schicht für Schicht am Meeresgrund abgelagert. Sorgfältig analysierten die Forscher in jeder dieser Schichten die Isotope verschiedener Elemente, Überreste von Mikroorganismen und Vulkanausbrüchen sowie eine Reihe weiterer Eigenschaften. Aus diesen Daten ermittelten sie dann Eckdaten für das Klima, die Eisbedeckung und die Vegetation der jeweiligen Zeit.

Viermal in dieser Periode ähnelte das Klima für jeweils wenige Hunderttausend Jahre den Verhältnissen vor Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Genau wie vor 150 Jahren mischten sich damals 280 Kohlendioxid-Moleküle unter eine Million Teilchen in der Luft, was im Englischen als 280 parts per million oder kurz 280 ppm bezeichnet wird. In dieser Zeit waren die Eismassen weit vom Land auf das Südpolarmeer hinausgewachsen und ähnelten der Situation im 19. Jahrhundert.

Vor 14 bis 20 Millionen Jahren gab es im Erdzeitalter des Miozän allerdings auch fünf lange Perioden, in denen die Temperaturen drei bis vier Grad über den heutigen Werten lagen und der Kohlendioxid-Gehalt mindestens 500 ppm erreichte. Ähnliche Verhältnisse erwartet der Weltklimarat IPCC in 50 bis 100 Jahren, heute liegt der Kohlendioxid-Gehalt dagegen bei 400 ppm. Das Eis hatte sich in den warmen Perioden des Miozäns weit ins Landesinnere der Antarktis zurückgezogen. Auf einem 80 Kilometer breiten Streifen an der Küste des Südpolarmeeres erstreckte sich damals eine Tundra-Landschaft, in der die Sommertemperaturen bei durchschnittlich plus zehn Grad lagen. Heute dagegen zeigt das Thermometer nur an den Küsten der Antarktischen Halbinsel manchmal im Hochsommer wenige Grad über null an. In diesen Schichten der warmen Epochen im Miozän entdeckten Richard Levy und seine Kollegen auch viele Pollen, die unter anderem von Südbuchen stammten. Damals wuchsen an der Küste der Antarktis also tatsächlich auch Bäume.

Edward Gasson und seine Kollegen verglichen diese Daten mit einem neu entwickelten Computermodell, das die Entwicklung des Eispanzers über der Antarktis bei verschiedenen Klimaverhältnissen zeigt. In den warmen Episoden zeigen diese Berechnungen, dass von den Eismassen über der Westantarktis nur kleine Reste übrig geblieben waren. Aber auch in der Ostantarktis hatte sich das Eis in den Modellen weit ins Landesinnere zurückgezogen – genau, wie es auch die Analyse des Bohrkernes vom Meeresgrund zeigt. In diesen Zeiten lag der Meeresspiegel 30 bis 36 Meter höher als heute, zeigen die Computermodelle weiter. Aus ihren Daten folgern die Autoren der beiden „PNAS“-Artikel nachdenklich: Offensichtlich reagierte das Eis der Antarktis damals relativ empfindlich auf einen Anstieg des Kohlendioxid-Gehaltes in der Luft auf Werte, die der Weltklimarat für die nächsten 50 oder 100 Jahre heute wieder erwartet.