Eine Aktivistin der Letzten Generation trifft bei einem Streitgespräch in Bietigheim-Bissingen auf den CDU-Bundestagsabgeordneten Fabian Gramling. Eine Begegnung, die mit manchem Klischee bricht.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Zeitgenossen, denen allein beim Begriff „Letzte Generation“ schon das Messer im Sack aufgeht, gibt Noemi Mundhaas so gar keinen Anlass zum Wutschäumen. Wie sie da in der Aula des Beruflichen Schulzentrums Bietigheim-Bissingen so sitzt, könnte genauso gut sie diejenige sein, die den Part der jungen Bundestagsparlamentarier übernimmt: Bluse, Blazer, adrett gescheiteltes, gewelltes Haar, angehende Physikerin, ruhiger Ton. „Ich würde auch lieber fertig studieren, eine Familie gründen, einen normalen Job haben“, sagt die 28-Jährige. Stattdessen nimmt sie Urlaubssemester für den Kampf gegen den Klimawandel. Sie ist bereit, sich dafür auf Fahrbahnen festzukleben. Und sich juristisch dafür zu verantworten. „Weil wir keine Zeit mehr haben“, sagt sie. „Weil wir jetzt ins Handeln kommen müssen.“

 

Der Countdown läuft

Noemi Mundhaas, die am Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam studiert, sitzt dem 35-Jährigen CDU-Bundestagsabgeordneten Fabian Gramling aus Besigheim gegenüber. „35 kommt euch wahrscheinlich alt vor, aber im Parlament gehöre ich zu den Jüngsten“, erklärt er dem Publikum – rund 300 Schülerinnen und Schüler, die dicht gedrängt in der Aula sitzen, um das von der Schule angeleierte Streitgespräch zu verfolgen. Gramling zählt also zu denen, von denen die Klima-Aktivisten hoffen und fordern, dass sie noch den Hebel herumreißen.

Suggestiv läuft auf einer Leinwand neben den Diskutanten ein Countdown, der anzeigt, wie viel Zeit bleibt, bis das globale CO2-Budget für das Erreichen des 1,5-Grad-Limits erreicht ist – also das Ziel, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Stand Montagmittag sind es sechs Jahre, vier Monate, neun Tage und eine Stunde. Dann, so Mundhaas, würden Kipppunkte eintreten, die zu irreversiblen Veränderungen im Weltklima führten. Mundhaas, die sich als eigentlich angepasst bezeichnet („Ich konnte mir früher nicht vorstellen, auch nur eine Schulstunde zu schwänzen“), veranlasste dieses Szenario, von Fridays For Future zur radikaleren Letzten Generation umzuschwenken „und Politiker an ihre Verantwortung zu erinnern“.

„Das ist kein schönes Erlebnis“

Aber Autofahrer verärgern oder Kunstwerke mit Kartoffelbrei beschmieren – ob das die richtige Form des Protests sei, will Schulleiter Stefan Ranzinger wissen, der moderiert und den Finger immer wieder genüsslich in Wunden legt. Fabian Gramling flankiert: „Ich finde es ja richtig, dass man demonstriert, wenn man ein gerechtfertigtes Anliegen hat, aber eine Gesellschaft funktioniert doch nicht, wenn man keine Rücksicht aufeinander nimmt.“ Die Form des Protests schade dem Anliegen. Mundhaas kontert: „Ich kann es verstehen, dass die Leute genervt sind. Aber ohne unsere Proteste gäbe es die notwendigen Diskussionen in den Familien, Schulen und in der Gesellschaft nicht.“ Bei vielen historischen Bewegungen habe eine überwiegende Mehrheit die Anliegen geteilt, wenn auch nicht die Form des Protests.

Niemandem bereite es übrigens Vergnügen, sich in der Kälte vor ein Auto zu setzen, sagt Mundhaas. Angst, von aggressiven Autofahren angeschrien, angefahren oder weggezerrt zu werden, von der Polizei mit Schmerzgriffen weggeräumt oder in Handschellen gelegt, in einen Gefangenentransporter und auf Reviere gebracht, in Einzelzellen gesperrt zu werden, manchmal auch über Nacht: „Das ist kein schönes Erlebnis. In den Nächten vorher schlafe ich schlecht.“ Gramling kann dem nichts abgewinnen. Er finde es auch nicht in Ordnung, dass Klima-Aktivisten in Urlaub flögen, statt vor Gericht zu erscheinen, sagt er. „Wenn man sich so über den Rechtsstaat stellt, hätte ich mir dazu ein Statement von der Letzten Generation gewünscht.“ Sie stelle sich nicht über den Rechtsstaat, sagt Mundhaas, die es als „krasses Erlebnis“ schildert, wegen Autobahnblockaden jüngst wegen Nötigung vor Gericht gestanden zu haben und zu 40 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt worden zu sein. Sie habe Rechtsmittel eingelegt und hoffe auf die nächsthöhere Instanz. Mundhaas bezieht sich auf den rechtfertigenden Notstand gemäß Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs und argumentiert, der Klimawandel sei eine Notstandslage, der diesen Protest rechtfertige.

Gramling: „Mit Verboten füllt man Social Media und Zeitungen“

Gramling findet, die Klimaziele erreiche man nicht durch Verbote wie Tempolimits. Er sei eher für freie Fahrt mit Autos, „aus denen hinten nichts mehr rauskommt“. Mit Verboten fülle man „Zeitungen und Social Media, aber sie bringen nichts“. Man müsse die Klimaziele international erreichen. „Was hilft das dem Klima, wenn Deutschland Kohlekraftwerke abschafft – was richtig ist –, China aber 200 neue baut?“ Er setze auf Deutschland als Entwicklungsstandort für klimafreundliche Technologien, der andere Länder überzeuge. Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft müssten dafür kooperieren. „Wir sollten eher von der Ersten Generation sprechen statt von der Letzten. Die Erste, die für die Welt so viel Gutes tun kann und die mit technologischen Quantensprüngen wie ChatGBT so vieles hinkriegen kann.“

„Welche Jobs sollen wir uns suchen, wenn in sechs Jahren unser Klimabudget abgelaufen ist?“, fragt Mundhaas und spricht von unbewohnbaren Landstrichen, Dürre, Hochwasser, unermesslichem Leid. Man könne doch nicht den Migrationsströmen zusehen und von Deutschland aus die Todesurteile der Menschen aus den am stärksten betroffenen Länder unterschreiben. „Das kann ich nicht hinnehmen.“ Ein Schüler murmelt halblaut:„Die Frau hat Recht, Mann.“