Vor rund 400.000 Jahren war es in Sibirien schon einmal recht warm. Wenn der dauerhaft gefrorene Boden taut, setzt er gewaltige Mengen CO2 und Methan frei. Könnte sich das in diesem Jahrhundert wiederholen?

Stuttgart - Über viele Tausend Kilometer erstreckt sich in Sibirien die eintönige Tundra mit kleinen Gruppen von zwergwüchsigen Lärchen und Kiefern oder weiter im Süden die Taiga mit ihren endlosen Nadelwäldern. Die dauernd gefrorenen Böden unter dieser Landschaft bereiten Forschern Kopfzerbrechen: Wann beginnen sie zu tauen? Und welche Mengen des dort festgehaltenen Kohlenstoffs setzen sie dann als Treibhausgas frei?

 

Den Antworten auf diese Fragen kommen Anton Vaks von der Universität Oxford, Oxana Gutareva von der russischen Akademie der Wissenschaften in Irkutsk, Sebastian Breitenbach von der ETH Zürich und ihre Kollegen nun ein wenig näher. Sie haben Tropfsteine in Sibirien und der Wüste Gobi in der Mongolei untersucht und berichten darüber im Wissenschaftsmagazin „Science“. Tropfsteine entstehen aus Kalkwasser – und das tropft aber nur durch den Untergrund, wenn die Temperaturen dort über dem Gefrierpunkt liegen. In Dauerfrostböden entstehen also keine Tropfsteine. Das Alter der einzelnen Schichten von Tropfsteinen verrät den Forschern daher, dass zur gleichen Zeit kein Dauerfrostboden die Höhle umgeben konnte.

Mit einer Uran-Thorium-Datierung genannten Methode ermittelten die Wissenschaftler zuverlässig, wann die jeweilige Tropfsteinschicht gewachsen ist. Die nördlichste der sechs Höhlen, die sie damit untersuchten, liegt ungefähr auf dem 60. Breitengrad. Dort beginnt heute der kontinuierliche Permafrostboden, in dem mehr als 90 Prozent des Untergrunds bis in eine Tiefe von 50 Metern gefroren sind. Die untersuchten Höhlen in der Mongolei waren die südlichsten; sie liegen klar außerhalb des heutigen Permafrostbereichs.

Deutsche Forscher überwachen den CO2-Ausstoß in Sibirien

Viele Messungen lagen im erwartbaren Bereich. In der Mongolei sind die Tropfsteine in den vergangenen 450.000 Jahren nicht gewachsen, was daran liegt, dass es dort wenig Niederschläge und mit der zusätzlichen Verdunstung kein Kalkwasser gibt, das durch den Untergrund fließen könnte. In zwei weiteren Höhlen, die in der Nähe des Baikalsees liegen, wuchsen die Tropfsteine in den bereits bekannten wärmeren Epochen der vergangenen 450.000 Jahre. In der nördlichsten Höhle, die heute im Permafrostboden liegt, wuchsen die Tropfsteine aber nur in einer einzigen Periode: als vor 424.000 bis 374.000 Jahren eine ungewöhnlich lange warme Epoche die Kaltzeiten unterbrach. In dieser Epoche lagen die globalen Durchschnittstemperaturen vermutlich rund 1,5 Grad über den Werten vor Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Derzeit liegt die Durchschnittstemperatur um 0,8 Grad über dem vorindustriellen Niveau.

Die Forscher vermuten daher, dass damals größere Bereiche des heute gefrorenen Bodens auftauten. Insgesamt aber sind allein in den obersten drei Metern Permafrost weltweit 1700 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gelagert. Wie viel davon könnte als Kohlendioxid oder Methan beim Auftauen der Böden in die Luft blubbern? Das können am ehesten Wissenschaftler wie Martin Heimann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie abschätzen. Heimann und seine Kollegen messen am Fluss Kolyma ganz im Nordosten Sibiriens, welche Mengen Treibhausgase dort heute aus dem 700 Meter tief gefrorenen Boden kommen, wenn dessen oberste 30 Zentimeter im Sommer sich in Sumpf verwandeln.

Unternimmt die Menschheit nichts Wesentliches gegen den Klimawandel, betreibe also weiter „business as usual“, könnten in den kommenden hundert Jahren immerhin 200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus den auftauenden Böden blubbern, sagt Heimann. Das klingt nach viel, doch er relativiert: „Verglichen mit den zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die wir Menschen schon heute in jedem einzelnen Jahr in die Luft blasen, fallen diese zusätzlichen Mengen gar nicht so sehr ins Gewicht.“