InterviewKlinikseelsorgerin in der Corona-Krise „Der Ausnahmezustand ist für viele alltäglich geworden“

Der Stresspegel bei den Mitarbeitenden in den Krankenhäusern ist in der Pandemie hoch, und Patienten fühlen sie einsam, weil sie kaum oder gar keinen Besuch empfangen dürfen. Zwei Gründe warum Klinikseelsorger besonders gefragt sind.
Bonlanden - Anne Rahlenbeck (42) ist seit November Pfarrerin an der Filderklinik in Bonlanden. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, in schweren Lebenslagen für Patienten und Mitarbeitende da zu sein. In der Pandemie ist da viel zu tun.
Frau Rahlenbeck, Sie haben Ihre neue Stelle mitten in der Corona-Krise angetreten – zu einem Zeitpunkt, zu dem die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellten. Wie war das für Sie?
Das war natürlich schwierig. Der Einführungsgottesdienst war sehr festlich, und man hat mich sehr herzlich willkommen geheißen. In der Klinik erlebe ich viel Offenheit. Natürlich bin ich als Seelsorgerin auch für die Mitarbeitenden da. Aber es braucht Zeit, mich allen bekannt zu machen. Mein Arbeitsschwerpunkt ist derzeit die Onkologie. Dort versuche ich, möglichst viele Patientinnen und Patienten zu besuchen. Ich gehe zu den Leuten hin, stelle mich vor, und meistens kommen dann auch gute Gespräche zustande.
Wie schützen Sie sich vor dem Coronavirus, wenn Sie im Krankenhaus unterwegs sind und Kontakt mit den Angestellten und Patienten haben?
In der Klinik wird oft getestet. Ich habe immer eine FFP2-Maske auf. Ich versuche Abstand zu halten. Hände desinfizieren ist sowieso Standard. Und ich möchte mich auch impfen lassen. Ich bin nicht ängstlich, was eine mögliche Ansteckung betrifft. Aber ich bin vorsichtig. In der Klinik ist die Sorge groß, dass sich Mitarbeitende mit dem Virus infizieren. Da passe ich besonders auf, dass ich beispielsweise in der Mittagspause, wenn wir keine Maske tragen, niemandem zu nahe komme. Auf der Covid-19-Station bin ich noch gar nicht gewesen. Da habe ich bisher immer einen Bogen drum gemacht. Aber ich habe fest vor, auch dorthin zu gehen.
Wie erleben Sie als Klinikpfarrerin die aktuelle Situation an der Filderklinik? Wie ist die Stimmung unter den Mitarbeitenden, die sicherlich seit Monaten am Limit arbeiten?
Ich merke, dass es Frust gibt. Bei der ersten Welle im Frühjahr haben die Menschen noch wahrgenommen, was in den Krankenhäusern geleistet wird. Jetzt fühlen sich viele Mitarbeitende allein gelassen. Die Wertschätzung ist nicht mehr so da, und der Ärger über die schlechte Bezahlung blitzt immer wieder mal durch. Der Ausnahmezustand in den Krankenhäusern scheint für viele Menschen außerhalb alltäglich geworden zu sein. Die Stimmung in der Klinik ist gedämpft. Ich hoffe, dass das wieder besser wird.
Der Evangelische Kirchenkreis Stuttgart hat kurz vor Weihnachten in einer Pressemitteilung geschrieben, dass die Nachfrage nach Klinikseelsorge derzeit besonders hoch sei, weil die Patienten nur wenige oder gar keine Besucher empfangen dürfen. Spüren Sie das auch?
Nein, das spüre ich noch nicht. Wir haben in der Filderklinik aber auch erst seit Kurzem ein ganz strenges Besuchsverbot. Davor konnte zumindest eine feste Bezugsperson noch zu den Patienten. Außerdem bin ich noch nicht so bekannt. Aber es ist durchaus schon vorgekommen, dass es einzelne Anfragen gab, ob ich nicht bestimmte Patienten besuchen könnte. Auf jeden Fall habe ich den Eindruck, dass meine Arbeit wichtig ist. Es ist wichtig, Menschen in schweren Situationen zu begleiten und sie zu stärken.
Wie geht das mit Maske und Abstand?
Das ist natürlich ein bisschen schwierig. Aber auch mit Maske und Abstand können sich gute Gespräche entwickeln. Es ist natürlich eine Bremse, an die man sich inzwischen aber gewöhnt hat.
Gibt es auch Dinge, die sie aktuell nicht tun können?
Ich konnte erst einen Gottesdienst in der Filderklinik halten. Eigentlich gehört es ja zu meinen Aufgaben, alle zwei Wochen einen zu feiern. Auch die Abendgebete können momentan nicht stattfinden. Es gibt an der Filderklinik einen großen Stamm an Ehrenamtlichen, die seelsorgerisch tätig sind oder bei der Vorbereitung von Gottesdiensten helfen. Die meisten von ihnen konnte ich bisher noch nicht persönlich kennenlernen, und dennoch habe ich ihnen zum Teil schon Geburtstagskarten geschrieben. Das ist schon schräg. Im Grunde fühle ich mich momentan aber sehr privilegiert, weil ich trotz Pandemie mit Menschen in Kontakt treten und ihnen spontan begegnen kann.
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