Der in der Vergangenheit für das Klinikum zuständige Dezernent will eine „objektive und unparteiische Prüfung“ der Vorwürfe im Zusammenhang mit den Auslandsaktivitäten des Krankenhauses. Das wirft viele Fragen auf.

Stuttgart - Das städtische Klinikum in Stuttgart hat bei Geschäften mit ausländischen Patienten möglicherweise viele Millionen verloren. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart und ein Akteneinsichtsausschuss des Gemeinderates versuchen zu klären, wer in welchem Ausmaß Verantwortung trug. Im Kreuzfeuer steht der frühere Krankenhaus- und heutige Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne).

 

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Bruchstücke aus einem SMS-Verkehr von Wölfle und dem ehemaligen Leiter der Auslandsabteilung, Andreas Braun, deuteten darauf hin, dass Wölfle sich für den später desaströsen Kuwait-Kontrakt einsetze. Nun versucht Wölfle den Befreiungsschlag.

Was hat Wölfle beantragt?

Der Bürgermeister hat beim Regierungspräsidium (RP) Stuttgart, also der über der Stadt stehenden Rechtsaufsichtsbehörde, ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst beantragt. Nach Paragraf 9 des Landesdisziplinargesetzes ist dies möglich.

Wie reagiert das RP darauf?

Seine Juristen müssen laut Gesetz prüfen, ob sie Wölfles Antrag folgen. Er darf „nur abgelehnt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, nicht vorliegen“, so Paragraf 9. Die Entscheidung sei dem Beamten schriftlich bekannt zu geben. Wird das Verfahren eingeleitet, muss gesagt werden, welches Vergehen dem Betroffenen zur Last gelegt wird. Das RP hat weitgehende Vollmacht. Es kann Auskünfte bei der Stadt einholen, Zeugen vernehmen, Beweise erheben. Laut RP ist es „äußerst selten“, dass ein Beamter die Einleitung des Verfahrens gegen sich selbst beantragt.

Warum hat Wölfle das Verfahren beantragt?

Wölfle will Heckenschützen aus dem Akteneinsichtsausschuss, die Teile der nicht öffentlichen Ausschussarbeit in die Öffentlichkeit bringen, die Munition entziehen. „Ich wähle diesen Weg auch zu meinem eigenen Schutz, um eine objektive und unparteiische Prüfung durch die zuständige Aufsichtsbehörde zu ermöglichen“, ließ er am Dienstag über die städtische Pressestelle mitteilen. So lasse sich klären, ob die Vorwürfe gegen ihn gerechtfertigt seien. Es handele sich um ein „Selbstreinigungsverfahren“ mit der Zielsetzung, den Beamten von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten, so das RP.

Was sagt OB Fritz Kuhn zu der Entwicklung?

Kuhn (Grüne) hat von Wölfle vorvergangene Woche eine dienstliche Erklärung eingefordert. Dieser Schritt ist ungewöhnlich. Doch Kuhn war selbst unter Druck geraten. Stadtrat Heinrich Fiechtner (Gruppe BZS 23, zuvor AfD) hatte dem OB vorgeworfen, „die Unwahrheit über den Wissensstand“ von Wölfle gesagt zu haben. Fiechtner war es, der die Abschrift des SMS-Verkehrs zwischen Wölfle und Braun offengelegt hatte.

Was steht in der dienstlichen Erklärung?

Das wissen nur Kuhn und Wölfle. Mutmaßlich das, was Wölfle nun erklärt und in der Fraktionssitzung der Grünen angedeutet hat. An diesem Mittwoch von 9.30 Uhr an werde Kuhn im Rathaus im Verwaltungsausschuss zu dem Thema unter Punkt 1a reden und eine „politische Bewertung“ treffen, heißt es aus der Verwaltung. Wölfle selbst werde nicht da sein.

Wann endet Wölfles Dienstzeit?

Seine achtjährige Amtszeit endet am 15. August 2019, also drei Monate nach der Kommunalwahl. Er werde dann seine Tätigkeit für die Stadt beenden – also nicht wieder antreten, teilte Wölfle (65) mit. In seinem Umfeld war bisher angenommen worden, dass er sich erneut auf den Posten des Sozialbürgermeisters bewerben würde.

Was bedeutet Wölfles Entscheidung für die Grünen?

Sie hoffen, dass sich mit der Arbeit des Regierungspräsidiums die Bruchstücke aus dem Akteneinsichtsauschuss relativieren. Was dort bisher festgestellt worden sei, habe nicht viel Substanz und werde von politischen Mitbewerbern „überdramatisiert“, so ein Fraktionsmitglied.

Tagt der Akteneinsichtsausschuss weiter?

Ja, denn der Ausschuss will die Verantwortlichkeit nicht nur von Wölfle klären. Auch die Rolle zum Beispiel des früheren und mit einem goldenen Handschlag im Umfang von 900 000 Euro plus Pension verabschiedeten Klinikum-Geschäftsführers Ralf-Michael Schmitz soll erhellt werden.

Dachten auch die Gemeinderatsfraktionen an eine Einschaltung des Regierungspräsidiums?

Selbst einen Antrag beim Regierungspräsidium auf eine Disziplinarverfahren zu stellen, war bei den Fraktionen kaum ein Thema gewesen – weil die Aufarbeitung der Klinikum-Affäre im Akteinsichtsausschuss noch in vollem Gange war und so ein Antrag allenfalls als spätere Option betrachtet wurde.

Wie sind die Reaktionen im Gemeinderat?

CDU-Fraktionschef Alexander Kotz sagt, für eine weitere Amtsperiode wäre Wölfle sowieso nicht mehr gewählt worden. Ob man doch noch seinen vorzeitigen Rücktritt fordern müsse, hänge von den Erkenntnissen in den nächsten Tagen ab. SPD-Chef Martin Körner nennt Wölfles Schritt „konsequent“. Er habe den Gemeinderat bei der Aufarbeitung des Klinikum-Skandals belogen und trage in besonderer Weise die Verantwortung dafür, dass der ehemalige Geschäftsführer nicht fristlos entlassen wurde. Thomas Adler, Linken-Stadtrat und Sprecher der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus, sagt: „Es ist eine Flucht nach vorn. Er rettet sich in den Ruhestand.“ Der Druck auf ihn bleibe, die Aufklärung gehe weiter. Adlers Co-Sprecher Hannes Rockenbauch (SÖS) ist enttäuscht. Wölfle hätte zuerst mit dem Gemeinderat reden und Vertrauen bilden müssen. Ohne dieses sei auch die Restamtszeit bis 15. August belastet. Deswegen zeigt sich Rockenbauch enttäuscht. Um Tribunale gehe es ihm nicht, sagt er. Rose von Stein (Freie Wähler) meint, eine Reaktion von Wölfle sei „überfällig“ gewesen. Matthias Oechsner (FDP) betrachtet Wölfles Schritt als richtig. Einen vorzeitigen Rücktritt könne man nicht fordern, so lange das Wölfle zur Last gelegte Fehlverhalten nicht bewiesen sei. Eberhard Brett (AfD) urteilt, mit der Terminwahl wolle Wölfle volle Rentenansprüche absichern. Er solle aber noch vorher zurücktreten. Heinrich Fiechtner sagt auch: „Wölfle will Zeit schinden und seine Pension sichern.“ Er hoffe aber, dass die Staatsanwaltschaft hier noch tätig und fündig werde. Das könnte Folgen für die Pension haben – „das hätte Wölfle verdient“.

Und was sagen Wölfles Parteifreunde?

Grünen-Fraktionssprecherin Anna Deparnay-Grunenberg äußert Respekt vor Wölfles Entscheidung. Die zeige, dass er für sich und andere Klarheit schaffen wolle. Seine Äußerung in der Fraktion, dass er sich nichts vorwerfe, sei glaubhaft. Er schließe zwar nicht aus, dass ihm etwas durchgerutscht sein könnte, aber er sage auch, dass er die ihm vorgehaltene SMS-Kurznachricht nicht mehr auf dem Handy habe, sich an den Zusammenhang nicht erinnere und nichts vertusche. Co-Fraktionschef Andreas Winter erklärte, man kenne Wölfle als verantwortungsbewussten und sozial engagierten Politiker, der über mehr als 20 Jahre die Kommunalpolitik in Stuttgart stark mitgeprägt habe. Seine Entscheidung komme für die Fraktion nicht überraschend. Wölfle habe sich ihm, Winter, gegenüber bereits gegen Ende des vergangenen Jahres dahingehend geäußert. Die Fraktion werde zu gegebener Zeit einen Vorschlag für die Nachfolge im Referat Soziales und Gesellschaftliche Integration machen. Nach den Worten von Deparnay-Grunenberg soll eine Frau das Ressort übernehmen.