Die kreiseigene Klinik am Eichert und das private Christophsbad führen eine, bundesweit bestaunte, Fehde wegen der Behandlung von Schlaganfällen. Das Sozialministerium will nun ein Machtwort sprechen. Doch das wird nicht so einfach.

Göppingen - Damit kein falscher Eindruck entsteht: Schlaganfallpatienten werden im Kreis Göppingen bisher genauso gut versorgt wie überall in der Region Stuttgart. Das bestätigen sowohl Auswertungen der Krankenkassen als auch Experten. Schließlich gibt es in Göppingen gleich zwei Kliniken, die sich damit auskennen: die kreiseigene Klinik am Eichert (KaE) und die zehn Minuten entfernte private psychiatrisch-neurologische Fachklinik Christophsbad (CB). Doch was eigentlich ein Pfund ist, mit dem der Kreis wuchern könnte, verursacht seit Jahren eine Debatte, über die nicht nur Fachleute in der Region Stuttgart, sondern auch Experten aus dem Rest der Republik den Kopf schütteln, Leiter anderer Schlaganfallstationen ebenso wie Vertreter der Krankenkassen.

 

Der Streit wirft ein Schlaglicht auf wirtschaftliche Zwänge und die steigende Bedeutung prestigeträchtiger und von den Kassen gut bezahlter Leistungen. Er zeigt, wie schnell wichtige Kooperationen zerbrechen können, wenn die Akteure nicht bereit sind, trotz der schwierigen Lage im Gesundheitswesen auf Vorteile für ihre eigenen Häuser zu verzichten: Statt wie in den anderen Landkreisen der Region gemäß der Konzeption des Landes zu kooperieren, streiten die Kliniken darüber, wer bei der Schlaganfallversorgung das Heft in der Hand hat. Konkret geht es vor allem um die Frage, wo die Patienten zuerst eingeliefert werden. Was wie eine Nebensächlichkeit klingt, ist bei Schlaganfällen enorm wichtig, denn, wie die Mediziner sagen: Time is brain, also Zeit ist Hirn. Je früher ein Schlaganfallpatient behandelt wird, desto größer ist die Chance, dass er gesund wird.

Neurologische Kompetenz gegen Allgemeinversorgung

Das CB argumentiert, es habe als neurologische Klinik die größere Fachkompetenz. Die Klinik ist als regionale Stroke Unit, also Schlaganfallstation, zertifiziert, während die Station der KaE als lokale eingestuft ist. „Eigentlich würden wir sogar die Kriterien für eine überregionale erfüllen, wenn wir auch eine Neurochirurgie hätten“, erklärt der CB-Geschäftsführer Bernhard Wehde. Tatsächlich hat die Klinik in der Region Stuttgart die einzige regionale Stroke Unit, in der auch Thrombektomien möglich sind, Blutgerinnsel im Gehirn also mechanisch mit einem Katheder entfernt werden können.

Aus Wehdes Sicht wäre es deshalb am besten, alle Patienten kämen zuerst in seine Klinik, damit die Experten dort entscheiden könnten, wie sie weiter behandelt werden. Zumal seine Neurologen auch mehr Erfahrung hätten und intensiv in der Auswertung der CT- und MRT-Aufnahmen geschult seien, die man zunächst von den Gehirnen der Patienten mache.

Der Leiter der Stroke Unit an der KaE, der Kardiologe Professor Stephen Schröder, hält dem entgegen, dass seine Klinik dafür die bessere Rundumversorgung mit Internisten, Kardiologen und so weiter biete. Das sei gerade bei schweren Schlaganfällen häufig von Bedeutung.

Moderationsversuch und Gutachter scheitern

Die Kliniken haben trotz vieler Diskussionen und einem Moderationsversuch der Arbeitsgemeinschaft Schlaganfallversorgung Baden-Württemberg im vergangenen Sommer keinen Kompromiss gefunden. Die KaE und auch der Landrat Edgar Wolff, wollen, dass die Eingangspforte für alle Patienten in der KaE ist. Die Experten aus dem CB sollen mit ihrer Stroke Unit in den Eichert umziehen und dort eine gemeinsame Schlaganfallstation leiten. „Für die Patienten wäre das eine hervorragende Versorgung“, sagt der Landrat. Wehde entgegnet, dass seine Klinik nicht auf die Neurologen verzichten könne, die schließlich auch für andere Patienten gebraucht würden. Wenn man mehr internistische und kardiologische Betreuung wünsche, könne der Eichert ja einige Leute für die Stroke Unit im Christophsbad abstellen.

Weil auch die Vorschläge eines Heidelberger Neurologie-Professors im Dezember keine Einigung brachten, hat das Sozialministerium jetzt ein weiteres Gutachten beantragt. Auf dessen Grundlage will es dann entscheiden, wie die Zusammenarbeit künftig zu laufen hat. Immerhin in einem sind sich offenbar alle einig: Wie bisher kann es nicht bleiben. Das Klima sei vergiftet, viele wichtige gemeinsame Projekte würden durch den Zwist behindert, heißt es. Und jede Seite gesteht zu, dass die andere hervorragende Ärzte habe, mit denen man menschlich gut könne. Zurzeit entscheiden die Notärzte selbst, wo sie Schlaganfallpatienten einliefern – bisher bringen sie drei Viertel der Betroffenen, rund 650 pro Jahr, ins CB.

Ob ein neues Gutachten tatsächlich die Lösung bringt, ist offen. Das Heidelberger Gutachten, das vorgeschlagen hatte, die Patienten ins CB zu bringen, lehnte die Klinik am Eichert ab. Denn der Verfasser sei als Neurologe zu sehr Partei. Edgar Wolff und Bernhard Wehde sind beide im Gespräch mit dem Ministerium. Beide rechnen sich für ihre Kliniken gute Chancen aus, die Versorgung übertragen zu bekommen.

Ein gut verzweigtes Netzwerk

Versorgung:
Die Schlaganfallkonzeption des Landes hat eine Besonderheit: Neben den von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft zertifizierten regionalen und überregionalen Stroke Units, also Schlaganfallstationen, gibt es auch von der Arbeitsgemeinschaft Schlaganfallstationen Baden-Württemberg zertifizierte lokale. Auf diese Weise spannt sich ein weites Versorgungsnetz über das Land. Kleinere Schlaganfälle, die nur mit einer Lyse behandelt werden müssen, werden in den lokalen und regionalen Stationen versorgt, schwere Fälle, die auch einer Thrombektomie bedürfen, werden von den Experten vor Ort an die überregionalen weitergeleitet.

Kooperation:
Dem Leiter der neurologischen Abteilung im Stuttgarter Klinikum, Professor Hansjörg Bäzner zufolge, funktioniert die Zusammenarbeit in der Region Stuttgart, von Göppingen abgesehen, sehr gut. Obwohl die Schlaganfälle aus wirtschaftlicher Sicht für Kliniken eine wichtige Einnahmequelle seien, kooperierten diese und schickten Patienten bei Bedarf an die größeren Zentren weiter. An der genauen Verteilung der Behandlungsentgelte müsse aber noch gefeilt werden. Im Rems-Murr-Kreis etwa habe die Schlossklinik ihre Neurologie bereitwillig an die neue Allgemeinklinik abgegeben. Dort würde nun eine gemeinsame Stroke Unit betrieben.

Thrombolyse:
Mediziner sprechen meist kurz von Lyse. Dabei wird intravenös eine Flüssigkeit mit Enzymen verabreicht, die das Blutgerinsel abbauen. Das Verfahren wird auch bei Herzinfarkten und Lungenembolien verwendet.

Thrombektomie:
Die operative Entfernung eines Gerinnsels (Thrombus) aus einem Blutgefäß nennt man Thrombektomie. Bei Schlaganfallpatienten wird sie angewendet, wenn die Lyse nicht ausreicht. Dabei wird mit einem Katheter das Gerinnsel im Gehirn mechanisch entfernt. Das Verfahren hat gerade bei schweren Schlaganfällen wesentlich bessere Erfolgsquoten als die Lyse allein.