Klinikum-Prozess Keine ärztliche Hilfe in der U-Haft in Stammheim?

Seit 32 Monaten sitzt ein angeklagter Patientenbetreuer in Stammheim in U-Haft. Er beklagt, seit Monaten nicht ärztlich versorgt worden zu sein. Foto: dpa/Marijan Murat

Die Verteidigung des seit 32 Monaten inhaftierten Patientenbetreuers fordert im Klinikum-Prozess Freispruch. Sie sieht keine Geschädigten.

Stuttgart - Die Strafverteidiger Martin Stirnweiß und Matthias Sigmund haben im Klinikumprozess für ihren Mandanten Freispruch und die Entlassung aus der Untersuchungshaft gefordert, die nun schon 32 Monate lang währt. Dem 51-jährigen Patientenbetreuer mit palästinensischen Wurzeln, was seine fürs Geschäft mit arabischen Patienten nützliche Zweisprachigkeit erklärt, wird Beihilfe zur Untreue und zum versuchten Betrug wegen überhöhter Abrechnungen von Behandlungen libyscher Patienten zwischen 2013 und 2015 vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hat für ihn sechs Jahre und zehn Monate Gefängnis gefordert. Das Urteil wird am 4. März verkündet.

 

In ihren Plädoyers vor der 20. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts sprachen die Pflichtverteidiger von tendenziösen Ermittlungen sowie von Schikanen durch die Haftanstaltsleitung und unterlassener Hilfeleistung durch den Gefängnisarzt.

Keinen Arzttermin trotz Ohrenentzündung?

Laut Sigmund sei seinem Mandanten kaum Zugang zu den Akten für seine Verteidigung gewährt worden. Zudem sei die Behandlung einer Entzündung im Ohr über Monate ebenso verweigert worden wie eine Medikamentengabe, sodass dauerhafte Schäden zu befürchten seien. Erst nach einer Strafanzeige beim Justizministerium sei ein Facharzttermin anberaumt worden.

Während Boris Müller, Anwalt des zweiten Angeklagten, der für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis soll, in seinem Plädoyer kritisch bemerkt hatte, dass nur „Ersatzspieler“ vor Gericht stünden, nicht aber die „Stammelf“, die er auf der ehemaligen Führungsebene des Klinikums wähnt, sprachen die Verteidiger am Montag von „Balljungen“ auf einem Feld ohne Tennisspieler.

Nur Mittlerrolle, aber kein Strippenzieher

Wie der Angeklagte, für den nach einem Jahr Schweigen zur Sache die Beweisaufnahme für seine Aussage wieder eröffnet worden war, wiesen die Anwälte den Vorwurf einer aktiven Rolle bei den mutmaßlichen Betrügereien zurück. Mehr als eine „Mittlerrolle“ zwischen dem Klinikum und dem Kriegsversehrtenkomitee der libyschen Stadt Misrata, das seine Milizionäre in Stuttgart gut behandelt wissen wollte und dafür 19 Millionen Euro bezahlte, habe er nicht ausgefüllt.

Es sei absurd anzunehmen, der zuständige Klinikum-Abteilungsleiter oder der Komiteechef seien seine Marionetten gewesen. Über E-Mails, die für die Staatsanwaltschaft – und wohl auch fürs Gericht – als Beleg dienen, dass der 51-Jährige als Drahtzieher agierte und von vertraglich nicht vereinbarten Provisionen profitierte, sagt die Verteidigung, sie seien nicht belastend, wenn man diese komplett betrachte.

Was die Überweisung von 833 000 Euro vom Klinikum für eine nicht näher erläuterte Leistung auf ein tunesisches Firmenkonto angeht, hieß es, damals sei der Angeklagte noch nicht Teileigentümer gewesen. Die Summe entspricht jedoch jenen zehn Prozent, die er als Anteil an Vorauszahlungen für die Behandlungen gefordert haben soll.

Wer fühlt sich eigentlich geschädigt?

Seine Anwälte wiesen aber darauf hin, dass man Vermögen – und damit auch einen Schaden – einem Eigentümer zuordnen können müsse. „Wer aber ist hier der Geschädigte?“, fragte Sigmund. Erst sei es das Klinikum gewesen, dann habe die Anklage mit „dem libyschen Kostenträger“ eine „konturlose Wischiwaschi-Begrifflichkeit“ eingeführt. Weder die Patienten noch das geldgebende Komitee hätten sich über die Abrechnungen beschwert. Und die libysche Botschaft, die die überhöhten Zahlungen kritisiert hatte, sei gar nicht zuständig gewesen.

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