Stuttgart - Als Stadträte im Stuttgarter Gemeinderat am 22. März 2018 die Rathausspitze zum Thema Klinikum-Skandal ins Kreuzverhör genommen hatten, widersprachen OB Fritz Kuhn (Grüne) und sein Stellvertreter Michael Föll (CDU) zwar vehement dem Vorwurf, „die Kleinen werden gehängt und die Großen lässt man laufen“. Streitpunkt war der „goldene Handschlag“ von 900 000 Euro für den Hauptverantwortlichen, Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz, und drastische Strafen gegen nachrangige Mitarbeiter. Die Politik darf sich nach einer Zeugenaussage am Donnerstag in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen: Am 12. Verhandlungstag vor dem Landgericht – drei Unternehmer stehen im Zusammenhang mit Betreuungsleistungen von 371 libyschen Patienten zwischen 2013 und 2017 unter Betrugsverdacht - hat eine ehemalige Sachbearbeiterin der betroffenen Internationalen Abteilung (IU) wertvolle Hinweise gegeben. Und das, obwohl sie im Verfahren um überhöhte Abrechnungen zu ihrer Überraschung als Beschuldigte geführt wird und deshalb gar nicht hätte aussagen müssen.
Die Zeugin zeigt sich unbeeindruckt
Im Gegensatz zu hochrangigen ehemaligen Führungskräften des Klinikums, die nur als Zeugen vernommen wurden, mangelte es der alleinerziehenden Mutter von drei Kindern an den finanziellen Mitteln für einen rechtlichen Beistand. Aber anders als die ehemaligen Leiter der Abteilungen Finanzen und Patientenmanagement, ganz zu schweigen vom Interimsgeschäftsführer, die der 20. Strafkammer über alle Maßen vergesslich und uninformiert gegenüber getreten waren, sorgte sich die ehemalige IU-Beschäftigte nicht, sich mit ihren sachdienlichen Hinweisen möglicherweise selbst belasten zu können. Ihrer Aussage zufolge sind zumindest die Wissenslücken des Ex-Chefs des Patientenmanagements, den sie als Perfektionisten beschrieb, nicht plausibel.
Mindestens so interessant wie die dankbar aufgenommenen erhellenden Ausführungen zu erhöhten Entgelten für aus dem Ausland eingereiste Patienten erscheinen die gegen die Frau ursprünglich erhobenen Vorwürfe und das damit verbundene Verhalten von Justiz und Stadtverwaltung. Diese nähren nach Ansicht von Prozessbeteiligten den Verdacht, Vorbehalte gegen Muslime und Menschen mit arabischem Migrationshintergrund könnten womöglich Triebfedern der Ermittlungen gewesen sein. Im konkreten Fall geht es um eine angebliche „Sippenhaft“.
Vorwürfe werden zurückgewiesen
Hintergrund ist der diffuse Vorwurf, die deutsche Bürokauffrau mit arabischen Wurzeln habe mit ihren beiden jüngeren Schwestern gemeinsame Sache gemacht, um monatlich mithilfe von Patientenlisten Rechnungen für nicht erbrachte Betreuungsleistungen zu Lasten des Klinikums zu erstellen. Anhaltspunkte sollen, wie man hört, aber nicht etwa handfeste Beweise wie Patientennamen oder Abrechnungen sein, sondern neben einem anonymen Vorwurf vor allem der Umstand, dass die Schwestern bei in diesem Komplex angeklagten Unternehmern beschäftigt waren. Die Zeugin ist die Älteste im Trio, sie hatte lange bevor das umstrittene Libyen-Projekt begann, mit dem sie – auch das wurde nun deutlich – beruflich nichts zu tun hatte, ihren jüngeren Schwestern dank ihrer Kontakte Jobs vermitteln können. Heute bedauere sie diese Entscheidung – nicht wegen der Arbeit, sondern, weil sie ihrer Familie damit so viel Kummer bereit habe. Die Vorwürfe bezeichnete sie als völlig absurd.
Drei im Bereich Medizintourismus tätige arabisch sprechende Schwestern, die auch beruflich mitunter in Kontakt standen, in Kombination mit Problemen bei der Abrechnung muslimischer Patienten scheinen die Fantasie der Ermittler beflügelt zu haben. Es kam zu Hausdurchsuchungen, Vernehmungen und angeblich auch zu Observationen auf dem Kinderspielplatz. Die Betroffene wähnte sich in einem schlechten Film. Mitarbeiter der Steuerfahndung hätten sie deutlich strenger verhört als ihre Kolleginnen, wunderte sich die Zeugin damals. Die Verteidiger interessierten sich am Donnerstag mehr für die Vorgehensweise der Polizei. Das Vernehmungsprotokoll wurde von der Befragten nicht unterschrieben. Wurde es überhaupt gelesen? Die Zeugin verneint und merkt an, das Aufnahmegerät habe zeitweise nicht funktioniert, deshalb sei dann schriftlich protokolliert worden. „Klingt professionell“, bemerkte Rechtsanwalt Martin Stirnweiß süffisant. So hatte er im Übrigen auch schon auf die Vernehmung eines libyschen Botschaftsangehörigen durch einen deutschen Ermittler auf Englisch mitten in einem Berliner Café reagiert.
Keine Belege für „Schwestern-Connection“
Der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Wenzler hat sich bei der Zeugin für ihre Aussage bedankt. Er hat an diesem Vormittag mehr über die Arbeit der IU erfahren als an den elf Verhandlungstagen zuvor. Auf ihre Frage, ob die belastende Zeit der Ungewissheit für sie und ihre Schwestern nun vorbei sei, meinte er, die Chancen hätten sich womöglich verbessert. Laut Prozessbeteiligten ist es eher unwahrscheinlich, dass sich der hinreichende Tatverdacht der Bildung einer betrügerischen „Schwestern-Connection“ zum Nachteil des Klinikums – Voraussetzung für eine Anklage – am Donnerstag bestätigt hat.