Das Klinke-Festival ist eröffnet – und Die Selektion, Die Nerven und Heisskalt zeigen, dass Stuttgart mehr kann als nur Hip Hop. Sondern ganz viel Pop, düstere Synthesizer-Musik und Noiserock. Wenn nur die Hitze in den Wagenhallen nicht wäre!

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Um die Stuttgarter Popmusik muss man sich nach dem Eröffnungsabend des Klinke-Festivals ein bisschen Sorgen machen. Das gilt auf keinen Fall für die musikalische Leistung der drei Bands Die Selektion, Die Nerven und Heisskalt; die war so divers wie überzeugend – und ziemlich weltläufig. Das ist ein schöner Nebenaspekt, weil die drei Gruppen vor allem die Herkunft aus Stuttgart beziehungsweise Esslingen gemein haben.

 

Sorgen macht eher der schwache Besuch vor allem bei den ersten beiden Bands. Der Auftakt für das vier Wochen dauernde Umsonst-und-Drinnen-Festival war stark beworben worden; der Kulturverein Merlin holte drei teils international diskutierte Bands in die Wagenhallen. Sicher, an einem heißen Sommerabend geht man nicht zwingend auf ein noch heißeres Konzert. Trotzdem schade, dass alleine Heisskalt eine größere Menge Fans mobilisierten – die Live-Ochsentour der Combo zahlt sich auf diese Weise immerhin aus.

Stuttgart ist mehr als Hip-Hop

Im eigenen Lande gilt der Prophet wenig. Dabei könnten die drei Bands es schaffen, dass Stuttgart national nicht mehr nur als Hip-Hop-Stadt wahrgenommen wird. Am Donnerstagabend präsentieren sie alle einen sehr prononcierten Sound. Die Selektion etwa knallen zum Auftakt harte Bassdrums unter ihren synthesizer- und basslastigen Sound; der verhallte Gesang von Leadsänger Luca Gillian und Hannes Riefs Trompete machen alles schön düster. Das Trio versorgt damit europaweit die Wave- und Gothic-Szene; in die Wagenhallen verirrt sich diese Szene diesmal nicht.

Um das Publikum nach der Pause wieder reinzuholen, stellen Die Nerven drei völlig unbegabte Mädels auf die Bühne. Die Band an sich spielt anschließend ganz und gar nicht verstaubten Noiserock mit Punk-Einflüssen. Mancher hätte mehr Rüpeleien erwartet; schließlich pöbeln Die Nerven auf ihren Konzerten gerne rum. Bei ihrem Klinke-Konzert bestehen sie lediglich auf eine heruntergedimmte Bühnenbeleuchtung und stellen einen Plüschpanda auf die Bühne – ironische Referenz auf Cro.

Der Rapper fehlt in einem Line-Up, das die „lautesten und angesagtesten“ Acts des Jahres verspricht. Vom Cro-Label Chimperator sind immerhin Heisskalt dabei. Dort weiß man, worauf das Gros der meist jungen Hörer steht. So treten die bisher starken Hardcore-Einflüsse der Band zurück zu Gunsten von Pop und Melodie. Das Konzept wird höchstwahrscheinlich aufgehen; überdies liefern Heisskalt die professionellste Show des Abends. Und: bei ihrem Konzert ist es vor der Bühne endlich voll. Den vier jungen Musikern ist der Erfolg zu gönnen – und den anderen Bands des Klinke-Festivals ein voller Club Merlin. Das vollständige Programm gibt es hier.