Die Affäre um ein missglücktes Geschäft des Klinikums der Stadt Stuttgart mit Patienten aus Libyen ist noch immer nicht geklärt. Das Krankenhaus ist auf Forderungen von neun Millionen Euro sitzengeblieben. Am Mittwoch geht der Streit in eine weitere Runde.

Stuttgart - Das neue Führungsteam des Klinikums und die nach der StZ-Berichterstattung über den Abrechnungsskandal hellhörig gewordene Staatsanwaltschaft erwarten gespannt die kommende Sitzung des Verwaltungsausschusses. Am Mittwoch versucht das Rechnungsprüfungsamts (RPA) hinter verschlossenen Türen zu erklären, wie es zum Abrechnungschaos bei der Behandlung von fast 400 libyschen Kriegsversehrten kam.

 

Das ohnehin stark defizitäre und den städtischen Haushalt zu harten Sparmaßnahmen zwingende Klinikum soll mit seinem Libyen-Projekt Millionen Euro in den Sand gesetzt haben. Nicht nur Behandlungskosten seien offen geblieben, die libysche Regierung habe auch die Ausgaben für Kost, Logis und Spesen nicht mehr ausgeglichen. Das hatte kürzlich mit zur Trennung von Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz beigetragen.

Die Abwicklung des Geschäfts war ungewöhnlich

Jens Jusczcak, Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und Fachmann auf dem Gebiet des Medizintourismus, wundert sich sehr über das Gebaren. Dieses sei zwar von Botschaften manchmal gewünscht, aber doch nicht üblich, dass die Kliniken auch diese Auszahlungen übernehmen, „weil so die Risiken erhöht werden, falls es zu Zahlungsausfällen oder Verzögerungen kommt“.

Vom Fazit der Kontrolleure wird wohl abhängig gemacht, ob Regressansprüche gegen die Verantwortlichen der International Unit des Klinikums geltend gemacht werden; diese Abteilung ist für ausländische Privatpatienten zuständig. Unbekannt ist nur die Schadenshöhe und inwieweit sich das RPA wegen unübersichtlicher Pauschalabrechnungen überhaupt einen Überblick verschaffen konnte. Anfragen der StZ blieben seitens der Stadt und des Klinikums unbeantwortet. Rätselhaft ist auch, wie die Stadträte ohne zeitnah Einblick in den Bericht zu erhalten, die richtigen Fragen stellen sollen, um ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen.

Rechnungsprüfer verzichten auf externen Sachverstand

Auf externen Sachverstand hat die Kontrollbehörde offenbar verzichtet. Der vom Klinikum für die Patienten verpflichtete Betreuer Nabel Abu-Rikab, nach eigener Aussage der einzige Beteiligte am Verfahren, der halbwegs einen Überblick über den Aufwand habe, betonte, seine Mithilfe sei abgelehnt worden. Die Abrechnungspraxis gehört nach Ansicht von Experten auf den Prüfstand, damit sich das Klinikum nicht vorwerfen lassen muss, das Defizit sei beim Versuch entstanden, die libysche Regierung zu übervorteilen, in dem es Luxusbehandlungen abgerechnet habe.

In früheren Fällen hatte der Botschafter Senussi A.Y. Kwideer beklagt, dass Kliniken teils nur ein Viertel der veranschlagten Kosten hätten nachweisen können. Ob in Stuttgart letzten Endes der Schaden nur deshalb so hoch ausfällt, weil die von Mitte Juni 2014 an nicht mehr bezahlten Rechnungen für Chefarzt-Behandlung und stationären Aufenthalt unangemessen hoch waren, könnte am besten eine neutrale Abrechnungsstelle ermitteln. Alle Posten in den Patientenakten müssten auf ihre Angemessenheit geprüft werden.

Welche Rolle spielt ein palästinensischer Vermittler?

Unklar ist auch noch, inwiefern in den Berechnungen die Summen berücksichtigt sind, die im Zusammenhang mit Nabel Abu-Rikab genannt werden. Dem Ludwigsburger mit palästinensischen Wurzeln wird unterstellt, für einen Teil der Verluste verantwortlich zu sein. Das Klinikum fordert 3,3 Millionen Euro zurück.

Der Dienstleister, der 700 000 Euro Provision offen sieht, fühlt sich in der Sache als ein in die Insolvenz getriebenes Bauernopfer. Er fragt sich etwa, wie er Hotel- und Flugrechnungen hätte falsch abrechnen können, da diese Rechnungen vom Klinikum bezahlt worden seien. Vertrauenswürdig scheint er weiter zu sein: Der Mann soll sich in Kuwait aufhalten, wo er sich im Auftrag des gegen ihn vorgehenden Klinikums um die Fortsetzung eines nicht minder umstrittenen Beratungsgeschäfts bemühen soll.

Die städtischen Rechnungsprüfer hatten in ihrem Jahresbericht 2014 das Libyen-Projekt kritisiert. Heute weiß man: Durchschaut hatten sie es im Dezember noch nicht – wohl auch, weil das Klinikum mit Unterlagen geizte. Zuständigkeiten wurden durcheinandergebracht. Falsch ist auch der Hinweis, das Klinikum habe mit Abu-Rikab einen mündlichen Vertrag geschlossen. Der Betroffene verfügt über einen von ihm und Schmitz unterzeichnete Vereinbarung. Diese hätte er der Behörde überlassen, wäre sie interessiert gewesen.

18,9 Millionen Euro sind überwiesen worden

Fest steht, dass die libysche Botschaft bis Anfang 2014 auf Basis von Kostenvoranschlägen 18,9 Millionen Euro überwiesen hat, rund 50 000 Euro pro Patient. Danach hat sie den Hahn zugedreht. Deshalb stünden laut RPA den Einnahmen rund 28,4 Millionen Euro an Behandlungs- und „Regiekosten“ entgegen (rund 75 000 Euro pro Patient). Daraus ergebe sich ein Defizit von 9,5 Millionen Euro. Es wird spannend sein zu erfahren, ob die International Unit des Klinikums gegenüber den Rechnungsprüfern die unterstellten 13,4 Millionen Euro für Unterkunft und Spesen auch belegen kann. So wird es etwa schwierig sein, wochenlang leer stehende Hotelzimmer einzelnen Patienten zuzuweisen.

Am kritischsten sieht das RPA das Essens- und Taschengeld: Abu-Rikab sagt, die Höhe hätten Klinikum und die Libyer vereinbart, er habe das Bargeld – rund 4,2 Millionen Euro – an die Verantwortlichen übergeben. Der Anwalt des Klinikums behauptet jedoch, der Bote hätte das Geld weder erhalten noch verteilen dürfen und fordert es von diesem zurück. Abu-Rikab verweist auch hier auf die Verträge. Das wird wohl vor einem Zivilgericht geklärt.