Stadträte werfen dem Oberbürgermeister vor, sie im Klinikumsskandal falsch informiert zu haben. Er schreibt die Verantwortung Bürgermeister Wölfle zu und fordert von ihm eine „dienstliche Erklärung“. Die Rücktrittsforderungen gegen Wölfle werden lauter.

Stuttgart - Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hat den Vorwurf von Stadträten zurückwiesen, sie im Zusammenhang mit der Aufklärung des Klinikumsskandals belogen zu haben. Die Verantwortung für eine Antwort über das Zustandekommen eines Kooperationsvertrags mit Kuwait im März 2017 schreibt er dem Krankenhausreferat und dem damaligen Bürgermeister Werner Wölfle zu. Er wird seinen Parteifreund um eine „dienstliche Erklärung“ bitten, sobald der aus dem Urlaub zurückgekehrt ist.

 

Der OB hatte im März 2017 seine Unterschrift unter eine Antwort auf mehrere kritische Anträge im Gemeinderat von SPD, FDP und AfD gesetzt. Darin steht, Wölfle sei nicht darüber informiert worden, dass der Klinikumschef Ralf-Michael Schmitz den Leiter der für die arabischen Privatpatienten zuständigen Abteilung, Andreas Braun, legitimierte, den komplizierten, für die Stadt mit erheblichen Risiken behafteten Vertrag im Umfang von 46,2 Millionen Euro im Februar 2014 in Kuwait zu unterschreiben, desen finanzielle Auswirkungen bis heute ungeklärt sind.

„Bis zum Beweis des Gegenteils“ glaubt der OB seinen Bürgermeistern

Er unterzeichne solche Stellungnahmen immer auf Basis der Informationen der jeweiligen Referate, erklärte Kuhn. Und „bis zum Beweis des Gegenteils“ glaube er den fachlich zuständigen Bürgermeistern.

Laut deren Aussagen sehen Stadträte das Gegenteil bereits als erwiesen an. Ihnen drängt sich durch die Veröffentlichung von Kurznachrichten über Handy zwischen Braun und Wölfle in dieser Woche der Eindruck auf, der Bürgermeister sei nicht nur sehr wohl über die näheren Umstände der Vertragsunterzeichnung informiert gewesen, er habe sie sogar aktiv begleitet. Wenn sich das als zutreffend herausstelle, dann hätte laut Stadträten nicht mehr Klinikums-Geschäftsführer Schmitz das größte Problem, weil er wegen des hohen Vertragswerts den Gemeinderat übergangen hat, sondern der Bürgermeister.

OB verweist auf fehlende Datenbasis

Dieser Schriftverkehr habe aber zum Zeitpunkt seiner Stellungnahme im März 2017 nicht zur Verfügung gestanden, verteidigt der OB seine damalige Formulierung. Der Inhalt sei erst im August im Zusammenhang mit dem Arbeitsgerichtsprozess gegen Braun „aktenkundig“ geworden.

Nach Informationen unserer Zeitung ist aber Kuhns Büro im Vorfeld der Beantwortung der kritischen Anträge konkret auf eine Quelle hingewiesen worden, die den wahren Kenntnisstand Wölfles über das Kuwaitprojekt konkret benennt. Es ist der Bericht der Anwaltskanzlei BRP Renaud & Partner, die nach eigenen Angaben im Auftrag der Stadt bis zum 9. Februar 2017 die Aufklärung des Klinikumsskandals betrieben hat.

In diesem Bericht kommt zum Ausdruck, dass Bürgermeister Wölfle mit einer Mail von Braun vom 30. August 2011 – schon damals hatte man am Kuwait-Projekt gebastelt – über den Vertrag informiert worden sei, einschließlich des Gesamtbudgets.

Kuhns Referentin war gewarnt

Auf diese Quelle hat der städtische Korruptionsbeauftragte Peter Glinder die Referenten von Kuhn und Föll rechtzeitig hingewiesen. „Umfang und Tragweite“ seien Wölfle bekannt gewesen, formulierte er in einer Mail, die zufällig bei Recherchen des Ausschusses zur Akteneinsicht entdeckt wurde. Er verband den Hinweis sogar noch mit der deutlichen Warnung, den Stadträten kein X für ein U vorzumachen. Das Orakel des Rechnungsprüfungsamts behielt recht: Glinder hatte prophezeit, ein anderer Tenor könnte „weiteren Erklärungsbedarf hervorrufen“.

Der Fall sei ja nun eingetreten, betonen Vertreter von CDU, SPD und die Gruppe BZS 23. „Betrogen, ausgetrickst und getäuscht“, fühlt sich Philipp Hill (CDU) und erinnert wie SPD-Fraktionschef Martin Körner an mehrfach geäußerte Forderungen, die Grünen sollten ihren Bürgermeister Wölfle zum Rücktritt bewegen und sich an der Aufklärung und Aufarbeitung beteiligen. Die an Erhellung interessierten Mitglieder des Ausschusses zur Akteneinsicht haben beschlossen, den Kronzeugen Braun zum Gespräch einzuladen. Außerdem wird gerade ein Zwischenbericht erstellt, in dem der „Goldene Handschlag“ für Ex-Geschäftsführer Schmitz im Zuge der Vertragsauflösung kritisch gewürdigt werde.

SÖS/Linke-plus kritisiert „abstoßende Geschäftspraktiken“

SöS/Linke-plus verweist darauf, vor einem Jahr moniert zu haben, dass die Verwaltung kein Interesse an Transparenz habe. Nun sieht die Fraktionsgemeinschaft „eine erste Wirkung“ der Aufklärungsbemühungen. Sie moniert „zumindest fragwürdige Antworten“, fühlt sich bei der Trennungsvereinbarung mit Schmitz „systematisch hintergangen“ und konstatiert im Zusammenhang mit dem Kuwaitprojekt „abstoßende Geschäftspraktiken“. Die „grüne Gemeinwohlökonomie bekommt durch diese Politik der Intransparenz eine ganz neue Note“, sagt Stadtrat Thomas Adler. Er sieht zudem Anhaltspunkte, dass dem Krankenhaussausschuss nicht nur der Kuwait-Vertrag vorenthalten wurde, sondern auch pflichtwidrig in Personalangelegenheiten außen vor geblieben sei. Wölfle ist noch im Urlaub im Ausland und war auf Anfrage nicht erreichbar.

OB Kuhn hat am Freitag auch zum Betrugsfall bei den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) AG Stellung bezogen, der deshalb mit dem Klinikums-Skandal zu tun hat, weil erneut Andreas Braun als Beschuldigter geführt wird. „Dies hat mit der Rathausspitze rein gar nichts zu tun“, wehrt sich der OB. Als Aufsichtsratschef sei er nicht mit dem operativen Geschäft befasst. Er habe nach dem Bekanntwerden einen Bericht des Vorstands verlangt.

Beim Kuwait-Projekt stimmte nur das Bakschisch

Das Klinikum sollte ursprünglich für fünf Jahre fünf erfahrene Orthopäden ans Al-Razi-Krankenhaus abordnen, um dort die medizinische Versorgung zu verbessern. Das hatten Ex-OB Wolfgang Schuster, Krankenhausbürgermeister Klaus-Peter Murawski und der Ärztliche Direktor Claude Krier bereits 2011 so vorbesprochen. Dafür sollte das kuwaitische Gesundheitsministerium 63 Millionen Euro bezahlen.

2014 kam es zur Unterschrift unter den Vertrag für drei Jahre. Kuwait sollte 46,2 Millionen Euro bezahlen. Dem Klinikum wäre ein Aufwand von 17 Millionen Euro entstanden, nur fünf Millionen Euro Gewinn wurden avisiert. Der große Rest war als Provision und auch als Bakschisch in geheimen Nebenabsprachen diversen Partnern zugewiesen. Es gibt derzeit keinen Anhaltspunkt dafür, dass Vertreter der Stadtverwaltung davon Kenntnis hatten. Stadträte monieren allerdings, dass man wegen der geringen Gewinnerwartung bei hohem Umsatz nicht stutzig geworden ist.

Kuwait bezahlte nur 20,3 Millionen Euro, weil das Klinikum nicht ausreichend Ärzte geschickt hat. Die Hälfte der Summe floss auf die Provisionskonten.