Was uns der Manager des Nationalteams mit seiner Neuinterpretation des Doppelinterviews sagen will. Eine WM-Kolumne von Peter Stolterfoht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Taktisch betrachtet hat einen diese Fußball-WM wirklich nicht umgehauen. Alles schon gesehen. Mit viel Wohlwollen lässt sich vielleicht noch die größer werdende Bedeutung von Standardsituationen als Trend in dieses Turnier hineininterpretieren. Gähn.

 

Dafür war die Weltmeisterschaft journalistisch sehr interessant. Das lag vor allem an den Interviews. Speziell die deutsche Delegation erregte in diesem Bereich Aufsehen nach dem frühen Totalschaden.

Dem Begriff „Doppelinterview“ gab dabei Oliver Bierhoff eine ganze neue Bedeutung. Sein erstes Gespräch mit der „Welt“ lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass der Nationalteam-Manager Mesut Özil mit seiner „Affäre Erdogan“ eine gehörige Schuld am Debakel gibt. Dies habe er keineswegs sagen wollen, meinte Bierhoff beim Nachfolge-Interview im ZDF. Er sei ganz falsch verstanden und interpretiert worden. Bierhoff habe seine Aussagen doch bestimmt vor der Veröffentlichung von der Zeitung vorgelegt bekommen, warf Moderator Oliver Welke ein. Was Bierhoff in einen bemitleidenswerten Herumeier-Modus versetzte. Nicht nur er, sondern drei Mitarbeiter hätten vorab über das Interview gelesen und nichts zu beanstanden gehabt. Was den Verdacht nahelegt, dass die Özil-Aussagen kein Unfall waren.

Offenbar sollten sie erst eingefangen werden, nachdem sich abzeichnete, wie die Sache in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird: Ziemlich bescheuert von Özil, sich von Erdogan vereinnahmen zu lassen, ziemlich mies von Bierhoff, ihn deshalb zum Sündenbock zu machen. Das Fazit lautet: Interviews können selbst dann noch entlarvend sein, wenn sie – wie in Deutschland üblich – vor der Veröffentlichung erst freigegeben werden müssen.

Die Autorisierung kennt man in Großbritannien gar nicht. Womit wir bei einem Interview mit dem englischen Nationaltrainer Gareth Southgate sind. Das wurde bereits 1997 geführt, als Southgate noch Nationalspieler war und ein Jahr zuvor im EM-Halbfinale gegen Deutschland den entscheidenden Elfmeter verschossen hatte. Aus aktuellem Anlass fand dieses Gespräch mit dem Sportjournalisten Ronald Reng über die sozialen Netzwerke den Weg zurück ins Hier und Jetzt.

Southgate spricht darin eindrucksvoll über seine Gefühle nach dem niederschmetternden Fehlschuss und darüber, dass dieses Erlebnis ihn eine Karriere lang begleiten wird. Southgate geriet damals unvorbereitet in ein Fußballdrama, das für ihn zum Trauma wurde. So wundert es nicht, dass er als Trainer vor der WM sein Team intensiv nicht nur das Elfmeterschießen üben ließ, sondern seine Spieler auch psychologisch auf den einsamen Weg vom Mittelkreis zum Punkt vorbereitete. Im Achtelfinale gegen Kolumbien setzte sich England jetzt erstmals in dieser Disziplin durch. Das nächste Elfmeterschießen kann kommen – das nächste Interview auch.