Stuttgart ist für Lehrer immer weniger attraktiv. Viele Pädagogen lassen sich wegversetzen aufs Land. Manche Junglehrer lehnen einen Job in der Landeshauptstadt von vornherein ab.

Stuttgart - Im neuen Schuljahr ist die Unterrichtsversorgung noch nicht überall sichergestellt – trotz 203 neuer Lehrer. „Ein Einstellungsrekord“, sagt Ulrike Brittinger, die Leiterin des Staatlichen Schulamts. Insbesondere an Grundschulen und Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), früher Sonderschulen, seien noch nicht alle Stellen besetzt, auch eine Klassenlehrerin fehle noch. Wie viele Stellen genau fehlen? Das könne sie nicht sagen, das ändere sich täglich. „Wir suchen noch bis Ende September“, so Brittinger. Ein Grund für den Engpass sei die Vielzahl an Pensionierungen. Doch die Landeshauptstadt scheint auch kein besonders beliebter Dienstort zu sein. „Manche Bewerber lehnen auch eine Anstellung in Stuttgart ab“, berichtet Brittingers Stellvertreter Matthias Kaiser. Viele Pädagogen ließen sich von Stuttgart wegversetzen.

 

Geködert werden sollen potenzielle Interessenten ausgerechnet mit befristeten Verträgen. Das bedeutet, dass die Sommerferien unbezahlt sind. „Wenn die das vier, fünf Jahre lang gut gemacht haben, kommen sie in eine Festanstellung“, so Kaiser. Bereits fest verplant sind die 21 Krankheitsvertreter. Ein Teil werde in den Vorbereitungsklassen eingesetzt. Zehn von ihnen haben keine zweite Staatsprüfung, dürfen also nicht an Regelklassen unterrichten. Und wenn Lehrer krank werden oder eine Grippewelle kommt? „Da ist jede Schule auf ihre eigenen Ressourcen angewiesen“, sagt Brittinger. Zur Not müsse man Lehrer aus den Vorbereitungsklassen abziehen.

Der Bedarf an Flüchtlingsklassen steigt, doch Räume und Personal sind knapp

Deren Bedarf steigt allerdings. Grund sei die Zunahme an Flüchtlingen, Asylbewerbern und Zuwanderern. Auf Basis der Prognosen habe man in diesem Schuljahr 118 Vorbereitungsklassen an 53 Standorten eingerichtet, 24 Klassen mehr als vor einem Jahr. „Wir erwarten 1700 Vorbereitungsschüler“, sagt Brittinger. „Wir könnten aber noch tausend mehr versorgen.“ Puffer gebe es bei der Klassengröße. Maximal 24 Schüler dürfen es sein, dies reize man aus pädagogischen Gründen bisher nicht aus. Auch räumlich sei es „wirklich eine große Herausforderung“, solche Klassen in der Sekundarstufe an weiterführenden Schulen einzurichten. So gibt es gerade mal an zwei Gymnasien (Solitude- und Elly) und drei Realschulen (Ostheim, Neckar- , Parkrealschule) so ein Angebot.

Steigende Schülerzahlen verzeichnen die Grundschulen, nicht nur bei den Erstklässlern. Das hat zur Folge, dass es in den Klassenzimmern enger wird, weil im Durchschnitt nicht mehr 23,7, sondern 24,4 Schüler drin sitzen.

In den Werkrealschulen gehen die Schülerzahlen weiter zurück. „Von 21 Standorten sind 14 im Aufhebungsprozess und nur fünf einigermaßen stabil“, so Brittinger. Nur noch sieben Werkrealschulen bilden eine Klasse fünf. Bedarf für die Schulart gebe es noch, auch wegen der Schüler aus den Vorbereitungsklassen.

Realschule ist weiterhin gefragt, trotz Zuwachs der Gemeinschaftsschulen

Als stabil erweisen sich die Nachfrage nach Realschulen und deren Schülerbestand. Und dies, obwohl vier Realschulen sich zu Gemeinschaftsschulen umwandeln – insgesamt gibt es nun acht Gemeinschaftsschulen. Das Interesse an einem Realschulplatz war sogar so groß, dass nicht jeder Bewerber auf seine Wunsch-Realschule durfte. „Die Realschule ist durch die Gemeinschaftsschule in Stuttgart nicht bedroht, sie kann sich in der Schullandschaft gut behaupten“, stellt Brittinger fest.

Eine deutliche Steigerung gibt es bei Kindern mit einem Anspruch auf sonderpädagogische Bildungsangebote. Im Schulamt führt man diese Entwicklung darauf zurück, dass Eltern wählen können, ob das Kind in einem SBBZ oder an einer Regelschule unterrichtet wird. Rund 890 der insgesamt 2321 Kinder mit diesem Anspruch besuchen eine Regelschule. In den Grundschulen sind dies 390 Schüler, darunter 69 Erstklässler, im Sekundarbereich 500 Schüler. Doch in deren Unterrichtsversorgung räumt Brittinger Einschränkungen ein, weil Sonderschullehrer fehlen.

Sonderschuleltern kritisieren, dass Förderschüler zu kurz kommen

Dieses Manko hat auch der Elternbeirat der Hasenbergschule im Westen kritisiert. Die Pendelei der Sonderpädagogen an die Regelschulen zur dortigen Unterstützung führe dazu, dass die für Förderschüler wichtige Beziehungsarbeit zu kurz komme und eine gute Lernentwicklung damit verhindert werde. Im Schulamt versucht man nun, den Lehrereinsatz logistisch zu verbessern. Der Lehrermangel soll durch Abordnungen von Lehrern aus Werkrealschulen an Sonderschulen abgemildert werden.

Der Ausbau der Ganztagsgrundschulen kommt voran. 49 der 72 Schulen bieten bereits den Ganztag. Basis ist auch ein Gemeinderatsbeschluss. Doch die Landesregierung fördert neuerdings auch andere Formen der Betreuung. Am 24. November wird darüber bei einem Gipfel diskutiert.