Immer wieder werden Medikamente in Deutschland knapp. Das liegt auch daran, dass die Produktion von Arzneien zu großen Teilen nach Asien verlagert worden ist.

Mal fehlt ein Narkosemittel, mal gibt es Engpässe bei einem Medikament für Brustkrebspatientinnen oder bei Fiebersaft für Kinder: Seit Jahren kommt es in Deutschland zu Lieferengpässen bei Arzneien. So meldet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bei gut 250 Präparaten einen Lieferengpass. Der Mangel hat zwei Hauptgründe: Bei den Generika – also Arzneimitteln, die keinen Patentschutz mehr haben – kommen fast zwei Drittel der Ware aus Asien, überwiegend China und Indien. Zudem unterliegen Hersteller in Deutschland starkem Kostendruck.

 

Die Krankenkassen zahlten einem Generikaunternehmen für die Tagesdosis eines Arzneimittels im Schnitt nur sechs Cent, meint Bork Bretthauer vom Verband Pro Generika: „Das ist so wenig, dass immer mehr Hersteller bestimmte Arzneimittel aus der Versorgung zurückziehen müssen.“ Er will, dass die Kassen ihre Preisgestaltung großzügiger anlegen – dass sie also bei den sogenannten Festbeträgen, also den Höchstbeträgen, die Kassen für ein Präparat zahlen, und den Rabatten, die sie für ein Medikament mit einem Hersteller aushandeln, höhere Preise zahlen.

Ein Beispiel eines Unternehmens, das sich zurückgezogen hat, ist die Firma 1a Pharma, die seit dem Frühjahr keinen Fiebersaft mehr herstellt. Dafür hätten die Kassen nur 1,36 Euro je Flasche gezahlt, erklärt Pro Generika. Die Kassen betonen, dass Hersteller schon vor Einführung der Festbeträge und der Rabattverträge nach Asien abgewandert seien. Und Lieferengpässe gebe es auch in Staaten, in denen es weder Festbeträge noch Rabattverträge gebe. Das stimmt. Nur haben viele westliche Staaten die Preise für Generika streng reguliert. Damit gab es einen Anreiz, in China oder Indien zu produzieren. In China ist das so günstig, dass westliche Konkurrenten nicht mithalten.

Asien ist zur Apotheke der Welt aufgestiegen

In der Folge ist Asien zur Apotheke der Welt aufgestiegen. Dabei zeigt sich nach Angaben einer von Pro Generika in Auftrag gegebenen Studie eine massive Konzentration. Für mehr als 56 Prozent der pharmazeutischen Wirkstoffe gibt es je Wirkstoff weniger als fünf Hersteller. Fällt nur einer von ihnen aus – sei es wegen Verzögerungen auf dem Transportweg oder weil es in der Fabrik einen technischen Defekt gab –, stockt der Nachschub. Wie abhängig Deutschland von den Lieferungen aus Asien ist, zeigte sich zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020. So sagte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dass man die „Selbstbehauptung Europas“ erreichen müsse. Davon ist bislang nichts zu sehen. Ebenso ist ungewiss, was aus den Ankündigungen der Ampelkoalition wird. Man prüfe „Investitionsbezuschussungen für Produktionsstätten“ sowie von „Zuschüssen zur Gewährung der Versorgungssicherheit, heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln (. . .) nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern.“ Das könnte bedeuten, dass Arzneien teurer werden. Und diese Botschaft, die zu höheren Kassenbeiträgen der Versicherten führen könnte, spricht im politischen Berlin niemand aus. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht ja ohnehin vor der schwierigen Aufgabe, das 17-Milliarden-Euro-Defizit stopfen zu müssen, das die gesetzliche Krankenversicherung für 2023 erwartet.

Sollte China den Export stoppen, hätte der Westen ein Riesenproblem

Bretthauer dagegen formuliert klar: „Die Vorgabe der Politik an die Kassen war zu lange: Kauft billig. Sie muss jetzt lauten: Kauft nachhaltig und diversifiziert.“ Die ganze Produktion nach Europa zurück zu verlagern, wäre logistisch und finanziell eine riesige Kraftanstrengung.

Nichtstun ist aber auch keine Option. So könnte China seine starke Stellung auf dem Weltmarkt für Arznei gegen den Westen verwenden. So sagte Rosemary Gibson vom US-Forschungsinstitut Hastings Center im März 2020 bei einer Anhörung im Senat von Washington, dass China 90 Prozent der Vorprodukte produziere, die für Antibiotika oder Medikamente zur Regulierung des Blutdrucks benötigt werden. Sollte diese Produktion ausfallen oder sollte Peking den Warenexport stoppen, hätten die westlichen Staaten ein Riesenproblem.

Großhändler und Hersteller müssen Lieferprobleme melden

Engpässe
  Seit April 2020 müssen Pharmafirmen und Großhändler drohende Engpässe beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) melden. Die Behörde kann Hersteller und den Großhandel bei Engpässen verpflichten, Kontingente zu bilden oder Ware auf Lager zu halten. Diese Instrumente hat das BfArM im Frühjahr bei Tamoxifen genutzt. Diese Arznei ist für viele Frauen wichtig, die an Brustkrebs leiden.

Versorgung
Bei Tamoxifen lag ein echter Versorgungsengpass vor. So verhängte die Behörde im Februar einen Exportstopp für tamoxifenhaltige Medikamente. Zudem durfte das Mittel nur dann von einer Apotheke abgegeben werden, wenn es eine ärztliche Verschreibung gab. Weder Ärzte noch Apotheken durften die Arznei also auf Vorrat bestellen. Bei Tamoxifen sei es in einem „einmaligen Kraftakt“ gelungen, die Versorgung der kranken Frauen zu sichern, betont Verband der Hersteller Pro Generika.