Freizeit im Gefängnis – ein Widerspruch? Die Inhaftierten der JVA Rottenburg können von Sport bis Kultur viele Kurse belegen. Wie in einer Volkshochschule. Mitunter entsteht daraus Kunst für das breite Publikum.

Rottenburg - Uriah Heep hat hier gespielt, SWR-Frontmann Matthias Holtmann bei Pop und Poesie gegenüber den Gefangenen sofort den richtigen Ton getroffen. Und nach einem Gespräch mit Peter Maffay waren die Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rottenburg (Kreis Tübingen) so beeindruckt, dass sie eine Spendenaktion für Kinder in Maffays Heimat Rumänien ins Leben riefen. „Das sind Highlights“, sagt der Anstaltsleiter Matthias Weckerle. Aber auch an normalen Tagen gibt es ein durchaus umfangreiches Freizeitprogramm für die Häftlinge.

 

Im Falle eines Gefängnisaufenthaltes von Freizeit zu sprechen, mag etwas widersprüchlich klingen. Aber nach getaner Arbeit und dem Hofgang bleibt in der Justizvollzugsanstalt Zeit für freiwillige Beschäftigungsmöglichkeiten. Der zuständige Mann dafür heißt Gerhard Brüssel. Er hat die Berufsbezeichnung Bereichsdienstleister Freizeit und Sport und kümmert sich seit mehr als zwei Jahrzehnten um dieses Thema. Das rund 60 Angebote umfassende Programm liest sich fast so wie das einer Volkshochschule, auch die Kurszeiten sind ähnlich – von 17 bis 19 Uhr. Sprachkurse gehören ebenso dazu wie Kraftsport, Gymnastik und sogar Fitnessboxen ist dabei. „Bei dem Vorschlag haben zunächst Alarmglocken geschrillt“, sagt Brüssel und lächelt. Erst als deutlich wurde, dass es sich bei dieser Sportart nicht um einen Kampfsport handelt, sondern eher um Gymnastik mit Boxhandschuhen, wurde Fitnessboxen schließlich doch ins Programm aufgenommen.

Fechten und Bogenschießen gehen nicht

Viele Ideen für diese Freizeitbeschäftigungen stammen von ehrenamtlich engagierten Bürgern, die den Gefangenen etwas Gutes tun wollen. Die eher defensiv ausgerichtete japanische Kampfkunst Aikido wurde von den Verantwortlichen positiv bewertet, Fechten und Bogenschießen dann aber doch nicht als geeigneter Freizeitsport angesehen. „Bevorzugt werden Kraftsportarten“, sagt JVA-Chef Weckerle. Das Training führe zum Aggressionsabbau.

Aber auch ein Spanischkurs wurde zunächst sehr begrüßt im Kreis der Häftlinge. „Doch angesichts der Hausaufgaben fehlten manchem dann doch die Geduld und das Durchhaltevermögen“, beobachtet Gerhard Brüssel. Spielegruppen seien zwar gefragt, Skat oder Schach würden von jüngeren Leuten aber kaum noch beherrscht. Es gibt noch weitere Angebote wie etwa die „Gesprächsgruppe Sucht“ oder „Leben ohne Gewalt“. Was aber verbirgt sich hinter dem Begriff Bedrohtensport? Weckerle und Brüssel berichten von Gefangenen, die vor ihren Mithäftlingen geschützt werden müssen. Sexualstraftäter gehören dazu, aber erst recht Männer, die Kinder missbraucht haben. Es geht auch um Insassen, die ihre betrügerischen Aktivitäten im Gefängnis fortgesetzt haben und deswegen bei ihren Mithäftlingen alles andere als beliebt sind. Zu ihrem eigenen Schutz ist diese Gruppe getrennt von den anderen untergebracht und hat eine eigene Sportgruppe. Die Gefangenen sind stigmatisiert. Wer einmal zu diesem Kreis gehört hat, wird es schwer haben im Gefängnisleben.

Was was ist Bedrohtensport?

Von 450 Gefangenen innerhalb der Rottenburger Gefängnismauern nehmen rund 120 an den vielfältigen Freizeitangeboten teil. Weckerle kennt die Ursachen für das Desinteresse. Manche der Insassen seien zu bequem, zu abgestumpft, es fehle ihnen der innere Antrieb für ein freiwilliges Engagement. Und sie hatten Schwierigkeiten damit, sich an klare Strukturen zu gewöhnen, die sie außerhalb der Anstalt oft nicht kannten. Selbst zu Konzerten, Theatervorführungen oder Comedyshows gehen manche nicht hin. „Sie sitzen lieber daheim“, sagt Weckerle. „Daheim – das heißt in der Zelle“. Wer kommt, ist oft zurückhaltend. Diese Zuhörer warten ab. Sie brauchen viel Zeit, bis der Funke überspringt.

Krimi aus dem Knast

Manche Inhaftierte überwinden ihre Lethargie bei außergewöhnlichen Projekten, die Gerhard Brüssel immer wieder auf den Weg bringt. So ist in Zusammenarbeit mit dem SWR-4-Moderator Edi Graf und dem Tübinger Rhetorik-Studenten Sebastian Rausenberger der vorwiegend aus der Feder von Häftlingen verfasste Krimi „Gesiebte Luft“ entstanden. Der Tübinger Silberburg-Verlag hat das Buch auf den Markt gebracht. Von jedem verkauften Exemplar wird ein Euro an die Straffälligenhilfe überwiesen. Die Rottenburger „Anstaltsband“ pausiert derzeit, weil der Bandleader entlassen wurde. Doch gerade auf dem Gebiet der Musik ist viel geschehen. Auf Brüssels Initiative hin sind in den letzten Jahren zwei Doppel-CDs mit den Titeln „Dahinter ist Leben“ und „Lebenszeichen“ von Bands aus mehreren deutschen Gefängnissen entstanden. Geboten wird ein bunter Crossovermix aus Hip-Hop, Rap, Rock bis hin zum Kriminaltango. „Die Begeisterung holt alle“, berichtet Brüssel. Und keiner wolle eine Gage, fügt er scherzhaft hinzu.

Ein Raum für Gefühle

„Hier gibt es nur coole Jungs, Gefühle werden nicht gezeigt“, erzählt Brüssel mit einem Augenzwinkern. Deutlich wurde dies bei einem Projekt, bei dem sechs Rapper aus Rottenburg mit dem von John Neumeier geleiteten Bundesjugendballett auftraten. Sie zeigten ihr Können erst in der Vollzugsanstalt, nach der Entlassung einiger Häftlinge gingen sie anschließend noch auf eine Tournee durch ganz Deutschland. Einer der Rapper hatte zunächst die Sorge, dass sein Text zu gefühlsbetont sei und er deswegen bei den Mithäftlingen an Ansehen verlieren könnte. Doch es kam anders. Die Mitgefangenen zeigten Respekt für seinen Mut. „Das hat uns ins in Herz getroffen“ und „Er spricht uns aus der Seele“, lauteten ihre Kommentare.

Gerhard Brüssel besuchte die Show „Rap auf Ballett“ in Essen. 1500 Zuschauer waren eigentlich wegen der professionellen Tänzer gekommen. Dass da ehemalige Häftlinge als Rapper dabei waren, hatten sie kaum wahrgenommen. „Und dann kamen unsere Jungs“, erinnert sich Brüssel. Als sich das Publikum zum Beifall erhob, hat dies auch den Projektleiter berührt. „Das war schon toll!“