Sie gehört zu einer aussterbenden Gattung: die Eckkneipe. In einer Serie besuchen wir die letzten ihrer Art.

S-West - Die Zahlen sind alarmierend: Bundesweit ist die Zahl der Kneipen zwischen 2009 und 2015 von 36 700 auf 31 100 zurückgegangen. Mit jeder geschlossenen Kneipe verliert ein Quartier einen Treffpunkt, in den meisten Fällen auch ein echtes Original hinter der Theke. An der Schwabstraße gibt es noch eins. Zum lieben Augustin heißt die Kneipe, Kostas Smponias (59) der Wirt. Hier im Westen nennen ihn die meisten Papa Kostas, er steht seit 1996 jeden Tag in seiner Kneipe, zapft, diskutiert, raucht und trinkt ab und an einen kleinen Ouzo mit seinen Stammgästen. Er ist – um es kurz zu machen – gute Seele, Ersatzpapa, bester Kumpel und Wirt in Personalunion.

 

Ein zweites Zuhause für den Agenturler und den Fußballfan

Wenn man Kostas nicht kennt, klingt das soweit noch nicht besonders. Wer aber mehr als einmal durch die Tür (Vorsicht, Stufe!) getreten ist, der weiß, warum diese Kneipe für viele Menschen ein zweites Zuhause ist. Mindestens. Kostas nimmt diese Rolle ernst, bietet jeden Tag ein wechselndes Mittagsgericht, hat auch sonntags auf. „Viele sind das gewöhnt, sie wissen nicht, wo sie sonst hin sollen“, sagt er. Seine Gäste wissen das zu schätzen, vom Agenturler über Fußballfans und Handwerker bis zum Team der TV-Serie „SOKO Stuttgart“ reicht seine Stammkundschaft. Und: „Zum Glück kommen auch junge Leute“, betont er. Dieses Glück haben nicht alle Eckkneipen.

Vorn der (meist leere) Nichtraucherbereich, hinten der (meist volle) Raucherbereich. Hier spielt sich das Leben ab, hier existiert ein Mikrokosmos zu der großen komplizierten Welt da draußen. An einem Tisch hocken drei ältere Herren und debattieren lebhaft über die Zeit der Ottonen und das deutsche Kaiserreich des Mittelalters. Am Nebentisch: Handwerker, die gerade im Streik sind, solidarisch unterstützt von einem Kerl, der zwar nicht streikt, aber trotzdem mittrinkt. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in Stuttgart-West. Unverzichtbarer Teil in diesem Biotop: die Spielautomaten. An denen hängen einige Jugendliche unterschiedlicher Nationalität rum, trinken Energy Drinks, daneben am Tischkicker klackern die Bälle.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit im Stuttgarter Westen

Woanders würden sie vielleicht auf dicke Hose machen, bei Kostas benehmen sich alle. „Kostas ist mehr Bruder als die meisten“, sagt der eine. Die anderen nicken bedächtig. Alt, jung, groß, klein, reich, arm: Für Kostas sind alle Menschen gleich. Stammgäste dürfen sich selbst bedienen oder auch die Musikauswahl bestimmen, viele von ihnen feiern auch ihre Geburtstage hier. Überhaupt ist das Augustin bemerkenswert nah am Zeitgeist. Es gibt kostenloses W-LAN, Karaoke und sogar eine regelmäßig aktualisierte Homepage. „Du musst mit den Zeiten gehen“, sagt Kostas und nippt an seinem Ouzo. Am Wochenende hat er diesmal eine Zombie-Mottoparty bei sich im Haus. „Mal sehen, was das wieder wird.“