Ein zentrales Projekt der künftigen Bundesregierung könnte ein Einwanderungsgesetz werden. Doch die Ideen, was es regeln soll, gehen weit auseinander. Dennoch gibt es hilfreiche Ansätze für Reformen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Wer in Deutschland ansässig werden möchte, muss nicht nur Grenzkontrollen überwinden, sondern auch einen Dschungel an rechtlichen Vorschriften. Da gibt es das Zuwanderungsgesetz, das Asylgesetz und das Aufenthaltsgesetz, die Beschäftigungsverordnung, die Blaue Karte, eine REST-Richtlinie, eine ICT-Richtlinie, die Saisonarbeitnehmer-Richtlinie und auch ein Programm, das sich Puma nennt. Sie alle eröffnen Wege nach Deutschland – für Menschen, die hier arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren wollen.

 

Ihnen offeriere die Bundesrepublik inzwischen ein Einwanderungsrecht, das „von vielen im internationalen Vergleich als liberal und weitreichend gelobt“ werde, urteilt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Dennoch gibt es Reformbedarf. Ungeachtet der vielen Möglichkeiten sei das Recht „unübersichtlich und komplex geworden“, so die Experten. Grüne, Liberale und Teile der Union machen sich im Zuge der Verhandlungen über eine Jamaikakoalition deshalb für ein Einwanderungsgesetz stark.

EU-Bürger genießen ohnehin Freizügigkeit

Die Erwartungen daran, was es regeln könnte, sind allerdings häufig weit überzogen. „Selbst ein Einwanderungsgesetzbuch kann zentrale Aspekte des Zuwanderungsgeschehens nach Deutschland nicht umfänglich neu regeln“, sagen die Sachverständigen der Stiftungen. Die Möglichkeiten der Steuerung würden überschätzt. Im vergangenen Jahr kamen 1,3 Millionen Ausländer nach Deutschland, die länger als 90 Tage blieben, darunter 280 000 Flüchtlinge. Fast die Hälfte der Zugezogenen waren Bürger von EU-Staaten. Sie genießen Freizügigkeit, eine der garantierten Grundfreiheiten innerhalb der Europäischen Union. Flüchtlinge wiederum unterliegen dem Asylrecht und völkerrechtlichen Normen wie der UN-Flüchtlingscharta, die von einem Einwanderungsgesetz nicht berührt wären.

Knapp 100 000 Menschen haben 2016 in Deutschland einen Aufenthaltstitel erhalten, um hier arbeiten oder einen Job suchen zu können. Darunter waren 80 000 Fachkräfte. Zudem kamen 120 000, um an deutschen Hochschulen zu studieren, Sprachkurse oder eine Ausbildung zu absolvieren. Allein dieses Personenpotenzial wäre durch ein Einwanderungsgesetz zu erreichen: etwa ein Sechstel der bisherigen Zuwanderer.Hier gebe es „vergleichsweise große Spielräume für den nationalen Gesetzgeber“, sagen die Experten vom Sachverständigenrat. Allein für Fachkräfte gibt es bereits jetzt zehn verschiedene Aufenthaltstitel. Das reicht von der europaweit geltenden Blauen Karte bis zu Lizenzen nach Paragraf 17a, Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes, welche die Jobsuche in Deutschland für jene ermöglichen, die über eine ausländische Berufsqualifikation verfügen, die hier anerkannt wird. Genau 18 Menschen sind im vergangenen Jahr aufgrund dieser Regel eingewandert.

Fachkräfte ohne Hochschuldiplom müssen Hürden überwinden

Die besten Chancen haben Ausländer mit akademischem Abschluss. Für sie herrsche in Deutschland „ein Maximum an Offenheit“, sagen die Migrationsexperten. Schlechtere Karten haben Fachkräfte ohne Hochschuldiplom. Für sie gibt es diverse Hemmnisse – Ansatzpunkte für eine Reform im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes. Eine Hürde ist zum Beispiel die Anerkennung einer im Ausland erworbenen Ausbildung. Das ist nach Auskunft von Fachleuten eine „zentrale Zuzugsbarriere“. Eine Liberalisierung ist nur in begrenztem Maße möglich, sofern die in Deutschland üblichen Qualitätsstandards nicht aufgeweicht werden sollen – woraus Kunden und Verbrauchern Nachteile entstehen könnten. Eine Flexibilisierung wäre nach Ansicht des Sachverständigenrats aber durchaus sinnvoll. So könnten zum Beispiel zusätzliche Qualifikationen eine Anerkennung erleichtern, etwa Deutschkenntnisse. In diesem begrenzten Kontext wäre ein Punktesystem hilfreich. Denkbar wäre auch, dass Unternehmen, die solche Arbeitskräfte ohne anerkannten Abschluss dringend benötigen, ein Mindestgehalt bezahlen und einen Teil dieses Gehalts in einen Fonds einbezahlen, aus dem eine berufliche Nachqualifizierung finanziert wird.

Migrationsexperten halten von einem Punktesystem wenig

Ein weiterer Reformansatz, der auch Abhilfe bei Fachkräftemangel in einzelnen Branchen verspricht, wären Erleichterungen für junge Leute aus dem Ausland, die in Deutschland einen Ausbildungsplatz suchen. Sie haben mehrere Hürden zu überwinden: zum einen eine sogenannte Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit, zudem müssen sie nachweisen, dass sie in Deutschland selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Da Azubis in manchen Berufen nicht in einer Höhe entlohnt werden, die ihr Auskommen sichert, wäre eine Art Bafög für Lehrlinge sinnvoll, an dem sich die Wirtschaft beteiligen sollte. Ein Vorschlag, der in diese Richtung zielt, kommt vom Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Von einem Punktesystem nach dem Vorbild klassischer Einwanderungsländer, wofür sich zuletzt auch die SPD starkgemacht hat, halten die Migrationsexperten wenig. „Wer das fordert, übersieht, dass sich Kanada längst von einem klassischen Punktesystem verabschiedet hat“, argumentieren sie. Ein Punktesystem würde das ohnehin schon komplexe europäische Einwanderungsrecht „unnötig verkomplizieren“. Insgesamt bewerten sie den Nutzen eines Einwanderungsgesetzbuchs für Deutschland zurückhaltend. Auf diese Weise ließen sich die unübersichtlichen rechtlichen Möglichkeiten vereinfachen und transparenter gestalten. Ein solches Projekt sei allerdings „kein Zauberinstrument“.