Die Koalition will Gemeinschaftsschulen ermöglichen und die Ganztagsbetreuung ausbauen. Für Kleinkinder soll es mehr Krippenplätze geben.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war es eines der Lieblingsthemen der schwarz-gelben Wahlkämpfer: wenn Rote oder Grüne an die Macht kommen sollten, dann drohe dem bewährten baden-württembergischen Schulsystem das Aus. Das Gymnasium werde abgeschafft, warnten sie zugespitzt, an seine Stelle trete eine Einheitsschule.

 

Tatsächlich gehört das Bildungswesen zu jenen Bereichen, in denen die künftigen Koalitionäre den größten Reformbedarf sehen. Der Politikwechsel, kündigte Winfried Kretschmann an, werde hier am deutlichsten erkennbar. Doch der designierte Regierungschef und seine Partner von der SPD hüten sich vor einem allzu radikalen Umbau. Die Erfahrungen der schwarz-grünen Koalition in Hamburg haben sie gelehrt, wie gefährlich nicht akzeptierte Reformen einem Regierungsbündnis werden können.

Verordnet wird also nichts, aber es werden neue Möglichkeiten geschaffen - die Bildungslandschaft im Südwesten wird in jedem Fall vielfältiger. Das übergeordnete Ziel formulieren Grüne und Rote so: Der Bildungserfolg der Schüler soll weniger als bisher von der Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Dem sollen etwa die Gemeinschaftsschulen dienen, in denen die Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet werden; danach entscheidet sich, ob sie ins duale System der Berufsausbildung oder in die gymnasiale Oberstufe gehen. Überall dort, wo es von Eltern und Trägern erwünscht ist, will die neue Koalition ein solches Konzept zulassen. Entsprechende Anträge liegen zum Teil bereits in der Schublade und dürften nun rasch genehmigt werden. Zudem soll die Gemeinschaftsschule ins Schulgesetz aufgenommen werden. Die Sorge, das Bildungsniveau werde dadurch nivelliert, kann Kretschmann nicht teilen. Im Gegenteil: stärkere und schwächere Schüler könnten gleichermaßen profitieren.

Die verbindliche Grundschulempfehlung wird wegfallen

Ins Gesetz kommen auch die Ganztagsschulen, die Grüne und SPD flächendeckend ausbauen wollen. Bis zu 1500 Lehrerstellen sind für die bessere Betreuung vorgesehen. Erwirtschaftet, so der Plan, werden sie aus der "demografischen Rendite" - also aus den Einsparungen, die durch sinkende Schülerzahlen möglich werden. Ob diese Rechnung aufgeht, ist umstritten. Eine weitere Reform: die verbindliche Grundschulempfehlung wird, wie angekündigt, wegfallen. Die Eltern haben also künftig das letzte Wort, wenn es darum geht, auf welche Schule ihre Kinder nach der vierten Klasse wechseln.

Auch vor und nach der Schulzeit, im Kindergarten und an der Uni, will Grün-Rot einiges ändern. Die Betreuung von unter Dreijährigen soll nachhaltig verbessert werden. Bis in zwei Jahren sollen Familien einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz bekommen. Der Orientierungsplan für den Kindergarten, der eine bessere Förderung der Kleinen vorsieht, wird verbindlich, die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern soll verbessert werden. Zurückgestellt ist vorerst die Ankündigung, die Gebühren für den Kindergarten abzuschaffen. Angesichts der Haushaltslage gebe es dafür zunächst keinen Spielraum, die Verbesserung von Qualität und Quantität der Betreuung habe erst einmal Vorrang. Finanziert werden sollen die neuen Krippenplätze von Häuslebauern, die künftig eine höhere Grunderwerbsteuer zahlen müssen: statt 3,5 Prozent werden es dann fünf Prozent sein. Soziale Härten, etwa bei jungen Familien, will man abfedern; wie, ist noch unbekannt.

Entlastet werden dagegen die Studenten: Sie sollen, wie verheißen, künftig keine Studiengebühren mehr zahlen müssen. Ob die Gebühr schon zum nächsten Wintersemester fällt oder erst zum Sommersemester 2012, ist noch offen. Die 130 Millionen Euro, die in der Landeskasse fehlen, sollen durch Umschichtungen erwirtschaftet werden. Auch hier ist noch unklar, wo die nötigen Abstriche gemacht werden müssen.