Die neue Regierung beginnt am Donnerstag mit den Koalitionsverhandlungen. Wie wird die alte Verwaltung mit der neuen Regierung kooperieren?

Als 1992 - zu Beginn der Großen Koalition - der designierte Innenminister Frieder Birzele zum ersten Mal sein künftiges Ministerium in der Stuttgarter Dorotheenstraße betreten wollte, scheiterte er bereits in der Eingangsschleuse. Da könne ja jeder kommen, ließ der Pförtner den verdutzten SPD-Politiker wissen. Erst der Personalausweis und ein Telefonat ebneten Birzele den Weg in die Ministeretage, aber auch dort empfing ihn Unbill. Die Sekretärinnen waren nicht greifbar, sie hielten sich einen Stock tiefer verborgen - aus Angst vor dem neuen Mann, der ihnen offenbar als rot angemalter Unhold angekündigt worden war. Zuvor war das Haus in CDU-Hand gewesen, zuletzt viele Jahre unter Dietmar Schlee.

 

Mit einem gewissen Bangen schauen auch jetzt die grün-roten Demnächstkoalitionäre dem Tag entgegen, an dem sie in die ihnen zugeteilten Ministerien einmarschieren werden. Eine neue Regierung trifft auf eine Ministerialverwaltung, die seit Jahrzehnten von der CDU dominiert wurde. Im Wirtschaftsressort und im Justizministerium schaltet und waltet seit 1996 die FDP. Nur aus der Zeit der Großen Koalition von 1992 bis 1996 findet sich vereinzelt noch ein sozialdemokratischer Veteran. Wird die alte Verwaltung mit der neuen Regierung kooperieren? Oder lehnen sich die Abteilungsleiter mit verschränkten Armen am Besprechungstisch zurück und lassen Grün-Rot ins Leere laufen?

Brisante Informationen wurden der Presse zugespielt

Als 1998 die neu gewählte rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) nach 16 Jahren Helmut Kohl die Macht übernahm, lief es überhaupt nicht rund. Das lag freilich vor allem am Dilettantismus der neuen Regierung, in der sich die Schröder-Leute mit den Lafontaine-Leutenbeharkten. Kanzleramtsminister Bodo Hombach (SPD) wurde bei diesen Spielchen eine verhängnisvolle Rolle zugeschrieben. In einer Übergangsphase litt die rot-grüne Regierung aber auch darunter, dass der Beamtenapparat leckte wie ein alter Kahn und jede Menge unausgegorene Papiere aus den Fachabteilungen der Ressorts an die Medien gelangten, die dankbar daraus ihre Exklusivmeldungen strickten. Das ging vorüber. Und Hombach räumte das Feld.

Eines ist in Stuttgart sicher: in Kompaniestärke werden die künftig Regierenden ihre Ressorts nicht fluten. Ganz im Gegenteil. Auf dem Weg zur jeweiligen Ministeretage passen sie in einen Fahrstuhl. Denn am Tag X erscheinen: ein Minister, gegebenenfalls ein Staatssekretär, ein Ministerialdirektor und ein Pressesprecher. Sie alle bedürfen des besonderen Vertrauens des Ministers und kommen im Regelfall von außen. 

Besondere Vorsicht bei der Auswahl der Mitarbeiter

Eine Vertrauensstellung nehmen auch der Zentralstellenleiter und die Mitarbeiter des Ministerbüros ein. Die Zentralstelle koordiniert die Arbeit eines Ressorts und regelt, was an Papieren auf dem Schreibtisch im Ministerbüro landet. Für diese Aufgabe finden sich womöglich Mitarbeiter des jeweiligen Ressorts, gegebenenfalls müssen neue Stellen geschaffen werden, ohne den Apparat aufzublähen. In manchen Häusern liegt die Steuerungsfunktion beim Ministerbüro, weniger bei der Zentralstelle. In diesen Fällen wird auch dort ganz besonders auf die Auswahl der Mitarbeiter geachtet werden.

Eine besondere Rolle spielt das Staatsministerium. Die Beamten in der Regierungszentrale, so berichtet ein Sozialdemokrat mit Ministerialerfahrung, verstünden sich als "die politische Elite der Verwaltung", als Generalisten, welche die Fachbeamten in den Ministerien auf Linie halten. "Dort gibt es mehr Hardliner als in den anderen Häusern." Aber nicht einmal im Staatsministerium besitzen alle Abteilungsleiter - das sind die Beamten mit dem ästhetisch ansprechenden Titel Ministerialdirigent - ein schwarzes Parteibuch. In den übrigen Ministerien trifft dies nach Einschätzung von Insidern auf die Mehrzahl der Abteilungsleiter zu. Auch soll es sogar im Staatsministerium Leute geben, die Grün gewählt haben. In der Selbsteinschätzung der Mitarbeiter in der Villa Reitzenstein ist es ohnehin allein die fachliche Eignung, die sie dort hinführte. Allerdings lässt sich an dieser Selbsteinschätzung sehr schön der alte Lehrsatz empirisch absichern, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.

Seit 1953 gab es keinen kompletten Regierungswechsel

Zu den politischen, also umstandslos in den Ruhestand zu versetzenden Beamten gehören die vier Regierungspräsidenten, die in ihren jeweiligen Regionen eine öffentlich herausgehobene Rolle spielen - im Gegensatz zu den Amtschefs der Ministerien, die kein Mensch kennt. Nach bisheriger Regierungspraxis bleiben sie jedoch in ihren Ämter - wobei zu bedenken ist, dass es seit 1953 keinen kompletten Regierungswechsel gab. Grün-Rot hätte also das Recht, die Regierungspräsidenten auszutauschen.

Passiven Widerstand gegen Grün-Rot wird es also kaum geben. Für die neue Regierung wird jedoch viel davon abhängen, ob sie ihre Mitarbeiter ernst nimmt und zu motivieren weiß. Scheitern, so sagt ein Sozialdemokrat, wird die Regierung "allenfalls an sich selbst, aber nicht an der Verwaltung".