Der Streit zwischen Grünen und SPD über Stuttgart 21 ist vom Tisch, doch es bleiben viele Fragen offen.

Stuttgart - Werner Wölfle (Grüne) und Wolfgang Drexler (SPD) haben es gerichtet. Die beiden waren am Dienstagabend von den grün-roten Hauptverhandlern ausersehen worden. Sie sollten im Zwiegespräch die Chancen für einen Kompromiss in der die beiden Parteien total trennenden Frage zu Stuttgart 21 auszuloten. Ausgerechnet die beiden stärksten Widersacher?

 

Die beiden kennen sich eben am besten in dem Thema aus. Und offenbar hat es sich für die kommende Regierungskoalition ausgezahlt. Denn Wölfle und Drexler präsentierten nach ihrem morgendlichen Treffen am Nachmittag eine Gesprächsgrundlage, über die sich die Kommissionen von Grünen und Sozialdemokraten zwar "an wenigen noch übrig gebliebenen strittigen Punkten die Köpfe heißredeten", wie Winfried Kretschmann am Ende sagte. Aber um 18.10 Uhr war der Handel perfekt. "Alles wird gut", moderierte der SPD-Medienmann Daniel Abbou im Stile eines Konzertimpresarios den Auftritt der Spitzenleute vor der Presse an.

Kretschmann wirkte erleichtert. "Beide Parteien respektieren die jeweils andere Position", führte er schon ganz staatsmännisch ein. Um den Streit zu befrieden und die Spaltung in der Landeshauptstadt zu überwinden, habe man sich darauf verständigt, das finanzielle Engagement des Landes beim Bahnprojekt Stuttgart 21 bei einer Volksabstimmung infrage zu stellen. Nun also doch.

An der Stelle hatte es den Anschein, als hätten die sozialdemokratischen Beobachter der Pressekonferenz, zum Beispiel Wolfgang Drexler oder Fraktionschef Claus Schmiedel, die entspannteren Mienen. Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer und Winfried Kretschmanns Öffentlichkeitsarbeiter Rudi Hoogvliet gaben ihrem Verhandlungsführer von hinten stumme Zeichen. Das war an der Stelle, als es darum ging, in welcher Weise die von den Koalitionären angestrebte Volksabstimmung verbindlich sei. "Wenn es ein Ergebnis gibt, etwa, dass Stuttgart 21 gebaut werden soll, dann werden wir uns daran halten", erklärte Kretschmann vor den Fernsehkameras und unter Blitzlichtgewitter. Sein Co-Chefverhandler Nils Schmid (SPD) beeilte sich zu sagen, dass das für die Genossen im umgekehrten Falle genauso gelte.

Es gibt noch einige offene Fragen

Damit besteht das - aus grüner Sicht - Risiko, dass das Bemühen um eine Absenkung des bei der Volksabstimmung erforderlichen Quorums vor dem entscheidenden Termin nicht so richtig Früchte trägt. "Deutlich" solle die in der Landesverfassung vorgeschriebene Mindestbeteiligung gesenkt werden, sagten Kretschmann und Schmid. Schließlich wolle man ja mehr direkte Demokratie. Genauer konnten sie ihr Ziel aber nicht angeben. Quorum bedeutet, dass eine Mehrheit bei einer Volksabstimmung erst dann wirksam wird, wenn bei dem Referendum die vorgeschriebene Mindestbeteiligung erreicht wird. Bis jetzt sind das in Baden-Württemberg 33 Prozent der Wahlberechtigten. Zu einer Verfassungsänderung braucht man auch die CDU. Die hat zuletzt aber nur in Aussicht gestellt, auf 25 Prozent gehen zu wollen.

Offene Fragen gibt es auch noch an anderen Stellen. So wollen die beiden Koalitionäre bis zur anberaumten Volksabstimmung ein Ausstiegsgesetz vorbereiten. Dort muss natürlich auch berücksichtigt werden, welche Ausstiegskosten auf das Land zukommen. Schließlich sollen die Baden-Württemberger im Bewusstsein dessen ihr Votum abgeben. Diese Zahl kennt man aber noch nicht. 860 Millionen Euro wurden von sozialdemokratischer Seite in den Raum gerufen. Schmid relativierte das, das sei wohl nur eine Größenordnung. Für Kretschmann ist das "alles spekulativ". Das werde man auch mit der Bahn noch "hart verhandeln" müssen.

Doch jetzt hat man erst mal Zeit gewonnen. Am Donnerstag wollen die Koalitionäre weitere Ergebnisse ihrer Verhandlungen verkünden. Schließlich gibt es auch andere, weniger stressbringende Themen. Übers Osterwochenende soll die redaktionelle Feinarbeit an dem Vertragstext geleistet werden. Gestern Abend gingen beide Seiten davon aus, dass man das Papier für die Regierungsarbeit der nächsten fünf Jahre am Dienstag werde präsentieren können.

Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, kommentierte die Einigung auf Anfrage der StZ: "Die IHK steht weiterhin voll und ganz hinter dem Projekt." Man sei an Verträge gebunden - entscheidend für ihn sei auch ein zentraler Punkt der Schlichtung: was der Stresstest ergebe und dass man mit den Gesamtkosten unter den 4,5 Milliarden Euro bleibe. Wenn es zum Volksentscheid im Oktober komme, so Richter weiter, dann werde das ganze Projekt um ein halbes Jahr verzögert. "Ob die Bahn dazu bereit ist, bleibt abzuwarten."

Irmela Neipp-Gericke von den Grünen und Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, findet es "erfreulich, dass es zu einer Einigung gekommen ist", weil sie auch "befürchtete, dass die Koalition daran scheitert". Sie begrüßt vor allem, dass die Dinge klar getrennt voneinander betrachtet werden: auf der einen Seite der Tiefbahnhof, den das Aktionsbündnis ablehnt, auf der anderen die Neubaustrecke, die man befürworte. Matthias von Herrmann von den aktiven Parkschützern hingegen kommentierte die Einigung so: "Volksentscheid ist ja schön und gut - aber die Verantwortung liegt beim Bundesverkehrsminister Ramsauer." Der aber ducke sich weg und befinde sich "in einem Dornröschenschlaf". Schienenbau bleibe Bundessache, "da kann das Land beschließen, was es will". Dringender sei für den Parkschützer, dass man von der Bahn Aufklärung darüber fordere, "was sie wirklich bauen will und was es kostet".