Grüne und SPD versprechen eine „Bürgerregierung“. Der SPD-Chef Nils Schmid soll das neue Superministerium für Wirtschaft und Finanzen übernehmen.    

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Vier Wochen nach der Landtagswahl ist die Koalition von Grünen und SPD in Baden-Württemberg perfekt. Der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der künftige Vizepremier Nils Schmid (SPD) präsentierten am Mittwoch den Koalitionsvertrag. Unter dem Titel „Der Wechsel beginnt“ werden darin umfangreiche Reformen unter anderem im Bildungswesen, in der Energiepolitik und bei der Bürgerbeteiligung angekündigt. „Dort, wo es notwendig ist, werden wir die Politik verändern, dort, wo es möglich ist, werden wir sie verbessern“, sagte Kretschmann. Er sprach von einer „Bürgerregierung“, die eine „Politik des Gehörtwerdens“ betreiben wolle. Baden-Württemberg solle zum Musterland für erneuerbare Energien werden. Schmid versprach ebenfalls einen neuen Politikstil, bei dem man auf die Mitarbeit der Bürger setze. Anspruch der SPD sei es, den Südwesten zum „Musterland für gute Arbeit“ zu machen. Beide werteten den Koalitionsvertrag trotz inhaltlicher Differenzen – vor allem über das Bahnprojekt Stuttgart 21 – als gute Grundlage ihrer Zusammenarbeit.

 

Nach dem Vertrag wird die künftige Regierung elf Ministerien haben, eines mehr als bisher. Die etwas stärkeren Grünen bekommen neben dem Staatsministerium vier Ressorts, die SPD sechs. Im Kabinett wird die Ökopartei acht Stimmen haben, die Genossen kommen auf sieben. Dies entspreche der angekündigten Partnerschaft auf Augenhöhe, hieß es. Wirtschafts- und Finanzministerium werden zusammengelegt und aller Voraussicht nach von Nils Schmid geführt. Offiziell soll über die Besetzung der Ressorts und Posten bis Mitte nächster Woche entschieden werden.

Opposition reagiert mit scharfer Kritik

Die Grünen erhalten das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, für das die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl und der Landtagsabgeordnete Franz Untersteller gehandelt werden, das Wissenschaftsministerium (Favoritin: die Fraktionsvizechefin Theresia Bauer), das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie überraschend das Ressort für Verkehr und Infrastruktur; hierfür werden die Abgeordneten Werner Wölfle oder Winfried Hermann genannt. In der Staatskanzlei sollen zudem ein Grünen-Staatsminister und eine ehrenamtliche Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung installiert werden.

Neben dem Superministerium für Nils Schmid darf die SPD das neu geschaffene Ressort für Integration besetzen. Daneben erhält sie das Arbeitsministerium (Favorit: die Abgeordnete Katrin Alpeter) und drei klassische Kernressorts: das Kultusministerium, für das mehrere Kandidaten genannt werden, das Innenministerium (Favorit: Reinhold Gall) und das Justizministerium (Favorit: Rainer Stickelberger). Außerdem darf sie den in der Staatskanzlei angesiedelten Bundesratsminister stellen.

Die bisherigen Regierungsparteien CDU und FDP reagierten mit scharfer Kritik auf den Koalitionsvertrag. Der CDU-Fraktionschef Peter Hauk sprach von einer „Flickschusterei ideologischer Fragmente ohne innere Konsistenz“. Der angeblich neue Politikstil bestehe aus alten Zöpfen und Versorgungsmentalität. „Statt mehr Bürgernähe gibt es mehr Ministerien und Ministerposten“, sagte Hauk.

Die FDP-Landeschefin Birgit Homburger warnte, Grün-Rot werde die Spitzenstellung Baden-Württembergs in kurzer Zeit verspielen. Schon zu Beginn ihrer Arbeit drehe sich die Koalition nur um die eigene Achse und habe die Interessen des Landes aus dem Blick verloren. Der Bund der Steuerzahler nannte den Bündnisvertrag „mehr als enttäuschend“. Für Bürger und Betriebe zeichneten sich massive Mehrbelastungen ab, kritisierte er.