Hat gleich mehrere Talente: Max Strohe Foto: Robert Schlesinger
Max Strohe kocht, fotografiert und schreibt. Jetzt geht er unter die Podcaster. Zeit, mit ihm über Kartoffelsalat, das Restaurantsterben in Berlin und sein letztes Mahl zu sprechen.
Max Strohe kann kochen, fotografieren und schreiben. Eigentlich eine Unverschämtheit. Jetzt geht er auch noch unter die Podcaster. Zeit, mit ihm über Mayonnaise-Kartoffelsalat, das Restaurantsterben in Berlin und sein letztes Mahl zu sprechen.
Herr Strohe, lassen Sie uns über Kartoffelsalat sprechen. Wie muss der sein?
Frau Wasserbäch, das ist ja eine große Thematik in Deutschland. Es ist wie in Italien, wo die Grenze irgendwo zwischen Meeresfrüchten und Fleisch verläuft, respektive Olivenöl und Butter. In Deutschland gibt es eine Grenze zwischen Mayonnaise-haltigem Kartoffelsalat und Kartoffelsalat mit Essig und Öl. Da ist man extrem durch die Kindheit geprägt. Man isst Kartoffelsalat, weil er schon immer auf den Tisch kam, weil er Tradition hat und Erinnerungen weckt. Ein guter Kartoffelsalat macht jeden zufrieden. In meiner Kindheit gab es Kartoffelsalat mit Mayonnaise, mit hart gekochten Eiern und krauser Petersilie obendrauf. Dazu kamen Gurken und Apfelstücke. Kleine Raffinesse – oder wie Herr Raue sagen würde, das ist so eine kleine Spitze der Säure, die den Gaumen pisackt, kitzelt und wachrüttelt. Generell weigere ich mich, Kartoffelsalat mit Essig und Öl zu essen. Als professioneller Esser beiße ich mich aber durch. Tendenziell bevorzuge ich ihn jedoch mit Mayonnaise.
„Man hat früher gesagt: kein Stern ohne Kerbel. Es gibt sinnvolle Kressen, aber vor allem im deutschen Fine-Dining-Kontext gibt es sicherlich enorm viel zu viele Kressen“, findet Max Strohe. Foto: Robert Schlesinger
Ist Kartoffelsalat die einzige Speise, auf der Sie Garnitur erlauben?
Garnitur ist überall angebracht, wo für mehrere Personen angerichtet wird. Also auf Platten, in Schüsseln, auf Buffets. Aber Buffets sind ein anderes Thema. Minze auf Dessert ist immer scheiße, es sei denn, es ist ein Minz-Dessert.
Und die Kresse, die inflationär eingesetzt wird? Ist das in Ordnung?
Man hat früher gesagt: kein Stern ohne Kerbel. Es gibt sinnvolle Kressen, aber vor allem im deutschen Fine-Dining-Kontext gibt es sicherlich enorm viel zu viele Kressen. Sie suggeriert Fleiß und dass man sich intensiv mit dem Gang auseinandergesetzt hat. Sie soll die vielen Handgriffe rechtfertigen, die nötig waren, um einen Preis, eine Auszeichnung oder eine gute Bewertung zu erzielen. Es ist ein deutsches Phänomen, Speisen horizontal anzurichten, um den vermeintlichen Fleiß zu demonstrieren: 125 Texturen, Farben und dann noch gefiederte Kressen obendrauf – Mikrofeldsalat, Mikrobasilikum, Blutampfer, Kerbel, Bronzefenchel et cetera pp. Ich bin mir nicht sicher, ob das sein muss. Es sieht manchmal nicht schlecht aus. Ich finde, Jan Hartwig macht das ganz gut. Da ergeben diese Sachen tatsächlich auch geschmacklich Sinn. Aber wenn sie nur zur Deko da sind, sollte man sie besser weglassen.
Sie bekennen sich offen zu Ihrer McDonald’s-Liebe. Welche Guilty Pleasures gibt es noch in Ihrem kulinarischen Leben?
Die McDonald’s-Liebe muss ich relativieren. Früher war es toll, und es ist immer noch mit positiven Erinnerungen verbunden, ähnlich wie beim Kartoffelsalat. Es hat etwas mit Belohnung und Sehnsucht zu tun. Aber ich esse nicht mehr hemmungslos bei McDonald’s, weil ich weiß, dass es Sodbrennen verursacht. Ich habe mit viel Mühe zwanzig Kilo abgenommen, da weiß ich, was ein „Atomburger“ anrichtet. Was ich aber nicht lassen kann, sind Ristorante-Tiefkühlpizzen von Dr. Oetker.
Aber vor allem die Ristorante?
Ja, genau. Weil das große Versprechen von Dr. Oetker – Ristorante schmecke wie beim Italiener – kompletter Unsinn ist. Keine Tiefkühlpizza schmeckt weniger nach Pizza als die. Es geht hier nicht um Pizza. Es gibt auch eine neue, die hat es wirklich in sich: die sogenannten Suprema. Die ist in schwarzen Kartons, ein bisschen größer und ein bisschen teurer. Die Margherita hat 1200 Kalorien, kann ich Ihnen sagen. Und da ich das Kochen nicht lassen kann, mache ich Folgendes: Ich lasse die Margherita Suprema kurz antauen, belege sie mit Thunfischbauch aus der Dose, Knoblauch aus der Knoblauchpresse, dünnen Zwiebelringen und backe sie im Ofen. Das esse ich mit reichlich Olivenöl und frisch gestoßenem schwarzem Pfeffer.
Sie kombinieren gerne Dinge wie Instant-Nudeln mit Ochsenschwanz-Ragù. Was sind noch so überraschende Kombinationen?
Ich mag all diese Kombinationen verschiedener Länderküchen – beispielsweise Udon-Nudeln wie Carbonara zu machen. Das hat schon seine Daseinsberechtigung. Ich bin gerade in einer extremen Stracciatella-Phase. Gerade esse ich viel Feigen mit Stracciatella, einem gereiften italienischen oder spanischen Schinken und sehr viel altem Balsamico. Und dann bin ich in einer Phase, in der ich über alles Crispy Chili Öl drüber gebe. Heute Abend gibt es Entenkeulen, vermutlich mit Bratkartoffeln und Feldsalat.
Raus aus der privaten Küche, rein in die Restaurants: Wie geht es der Kulinarik in Deutschland derzeit?
Ich glaube, es gibt verschiedene Probleme und große Inkongruenzen. Es gibt den unbedingten Leichtglauben daran, neue Dinge zu entdecken und die gut zu finden – so wie man vermeintlich einsame Strände noch findet, die dann kurz darauf überbevölkert sind. So ähnlich ist es mit diesem kurzweiligen Vergnügen irgendwelcher Food-Hypes, die von irgendwelchen Food-Bloggern vorgegaukelt werden. Das finde ich alles reichlich doof, auch weil es dadurch keine gesunde Verteilung von Food-Kapital gibt. Das ist alles unehrlich und wenig nachhaltig. Deshalb fressen Leute tendenziell viel Schrott. Ich glaube nach wie vor, das war schon immer so, wird zu wenig Geld für Essen ausgegeben in Deutschland. Essen ist beiläufig und dient zum Sattmachen. Die Situation allgemein ist alarmierend. Immer mehr Restaurants machen zu. Und obwohl es wesentlich weniger Restaurants gibt, sind die verbliebenen nicht voller. Es mangelt an kulinarischer Bildung und Interesse. Doch es hat wahrscheinlich auch viel mit der ganzen Krisensituation zu tun. Vielleicht isst man lieber zu Hause, spart ein bisschen Geld und fühlt sich sicher. Wir haben das Glück, dass unser Laden voll ist. Das ist toll. Tatsächlich hat vor allem die Atmosphäre damit zu tun. Es gibt auch das Phänomen, dass es die angesagten Läden gibt, die voll und hip sind, die aber unterirdisch mit dem Gast umgehen. Das hat nichts mit Gastfreundschaft zu tun, wenn es keine Möglichkeit der Reservierung gibt und kein deutsch gesprochen wird. Es gibt kein ausgebildetes Personal mehr. Da leidet die Serviceleistung. Dann stellt man sich die Frage, warum man dafür viel Geld ausgeben soll. Diese Entwicklung hat vor Jahren begonnen, jetzt haben wir den Salat.
Ist es in Berlin extremer mit den Hipster-Küchen als anderswo?
Ich bin ja hier in der Hipster-Hauptstadt Deutschlands. Und ich frage mich auch, wie das so funktioniert. Ich habe schon des Öfteren mit dem Gedanken gespielt, ein zweites Restaurant zu eröffnen. Aber wie soll das gehen? Man muss viel Geld in die Hand nehmen, um eine Ablöse zu zahlen, damit man eine Location bekommt. Dann sind die meisten geschmacklos eingerichtet und heruntergewirtschaftet, sodass man erneut investieren muss. Und dann fängt man irgendwann an zu kochen und dann kommen immer mal Gäste oder auch nicht. Und ich frage mich, wo die alle herkommen, wie die das alle machen. Wenn man davon ausgeht, dass viele dieser Läden auf zwei Standbeinen stehen oder Sachen von Investoren sind, dann ist es natürlich klar, dass da viele Sachen gut funktionieren, nämlich alle die Kostenseiten wie Handwerk und Infrastruktur, aber dass da wenig übrig bleibt für Herzblut, Seele und Wohlfühlatmosphäre.
Das Restaurantsterben begann in Berlin mit dem Restaurant Ernst. Sie meinen, Deutschland hätte ein Restaurant wie das Ernst nicht verdient. Warum?
Ich glaube, dass das Restaurant Ernst in jeder anderen europäischen Metropole wahrscheinlich von null auf zwei Sterne eingestiegen wäre. Und überall hätte man dieser Bude die Hütte eingerannt. Weil es nichts Vergleichbares gibt, zumindest in Berlin nicht. Dylan Watson hat sich dort um den Verstand gekocht. Es ist eine Herausforderung, frei kochen zu können auf diesem Niveau, wenn man wirtschaftlichen Druck verspürt.
Woran erkennen Sie ein gutes Restaurant?
Das ist schwierig. Ich glaube, es ist eine Intuition, die man sich erarbeiten kann. Man kann sich da Erfahrungen anfressen, die natürlich mit extrem viel Scheitern verbunden sind. Das ist ein bisschen so wie analoge Fotografie – da weiß man halt nicht, was man bekommt. Man findet keine guten Restaurants auf TripAdvisor. Ich folge weder Google Maps noch Apple Karten, sondern lasse mich treiben. Manchmal riecht es in irgendeiner Gasse gut. Zu große Speisekarten sind immer ein Downer. Signalfarben sind auch schwierig. Man kann auch tatsächlich schauen, wie die Leute aussehen, wie sie arbeiten. Wenn man irgendwo einen Koch sieht und man denkt, ah, er sieht irgendwie gut aus im Sinne von fertig – dann wird er wahrscheinlich viel Zeit dort verbringen.
Jetzt erschienen: Max Strohes Kolumnen gesammelt in einem Buch. Foto: Verlag
Zum Abschluss: Ihr letztes Essen – was käme auf den Tisch?
Stellen wir uns vor, ich stehe im Angesicht des Todes und bin mir dessen bewusst. Vielleicht habe ich das Glück, dass mein Gehirn Synapsen abschaltet und ich mich nicht mehr an frühere Mahlzeiten erinnere. Ich würde mir vorstellen, ich würde noch mal das erste Mal ein gut gebratenes Steak mit tollen Pommes frites essen und dazu Sauce Béarnaise. So einen Effekt hätte ich gerne. Wenn es ein Menü wäre: vielleicht ein paar gebratene Steinpilze mit viel schwarzem Pfeffer, sehr gutem Olivenöl ohne Bitterstoffe und geriebenem alten Parmesan. Die Foi-Gras-Terrine von Dieter Müller war die beste, die ich je gegessen habe. Dann das Wasabi Kaisergranat von Tim Raue, den Dreifach-Thunfisch-Gang von Christian Bau, das Kalbsbries von Helmut Tielthges mit Schweineschnauze, Trüffel und Trüffelrahmsauce und Jan Hartwig könnte noch Chawanmushi mit Rumrosine, Haselnuss und Kaviar machen. Wenn ich mich jedoch für ein Gericht entscheiden müsste, würde ich Spargel mit Butter und ein kleines Kalbsbries-Schnitzel essen.
Zur Person
Max Strohe Jahrgang 1982, betreibt gemeinsam mit Ilona Scholl das Restaurant Tulus Lotrek in Berlin, das im November sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Ab 1. Dezember startet ein Podcast über das Restaurant und die Liebesgeschichte dahinter. Sein neuestes Buch „All you can eat“ (Tropen Verlag) ist kürzlich erschienen. 2020 initiierte er während der Corona-Pandemie die Aktion „Kochen für Helden“, bei der er systemrelevantes Personal mit Mahlzeiten versorgte. Für dieses Engagement wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.
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