Wie macht man eine Ritterrüstung zu einer Ikone? Eine Frage, die sich vor einem Jahrzehnt der spanische Diplomat José Rodríguez-Spiteri stellte. Denn er wusste: „Nach mehr als drei Rüstungen und Kutschen verfallen die Besucher in einen Zustand tiefer Langeweile. Auch eine endlose Reihe von Wandteppichen hat nur eine begrenzte Anziehungskraft.“
Rodríguez-Spiteri war 2012 zum Präsidenten des Patrimonio Nacional ernannt worden, der Verwalterin der ehemals königlichen Besitztümer Spaniens, und er hatte mit der Position ein Erbe übernommen, das er für schwierig hielt. Er sollte ein Projekt mit Inhalt füllen, dessen Zweck er nicht recht verstand: das geplante Museum der Königlichen Sammlungen gleich neben dem Madrider Königspalast und der Kathedrale.
Der Neubau kostete 173 Millionen Euro
In seiner Ratlosigkeit machte Rodríguez-Spiteri drastische Vorschläge. Er wollte, um die Besucher nicht mit Rüstungen und Wandteppichen zu langweilen, dem Prado eine Handvoll seiner Schätze entreißen, darunter Rogier van der Weydens „Kreuzabnahme“ und Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ – Ikonen allerdings. Die Gemälde aber blieben, wo sie hingehörten, im Prado, und Rodríguez-Spiteri nahm 2015 seine Sachen.
Acht Jahre und drei Patrimonio-Nacional-Präsidenten später öffnet das schwierige, 173 Millionen Euro teure Museum nun, am 29. Juni, unter dem Namen „Galerie der Königlichen Sammlungen“ seine Türen. Es ist, auch ohne Prado-Anleihen, ein großartiges Museum geworden, eines der großartigen Museen Europas. Was nicht zu erwarten war. Der Beschluss zum Bau fiel auf einer Kabinettssitzung der damaligen Aznar-Regierung im November 1998. Das Museum im Herzen Madrids werde „um die hundert Kutschen sowie eine große Anzahl Sammlungen von Fächern, Silberwaren, Uhren, Glas und Porzellan“ enthalten, erklärte Aznars Vizepräsident Francisco Álvarez-Cascos. Es war dieser geplante Heimatkundemuseumscharme, die bei Rodríguez-Spiteri und anderen Leuten Müdigkeit hervorrief.
An erstklassigen Museen fehlt es in der Hauptstadt nicht
Auch die Madrider waren nicht besonders neugierig. An erstklassigen Museen fehlt es in der Hauptstadt nicht. Erst als nach langem Architektenstreit im Dezember 2006 die Bauarbeiten zu Füßen der Kathedrale und in direkter Nachbarschaft des Königspalastes begannen, wurden sie etwas unruhig. „Madrid hat einen seiner glücklichsten Orte verloren“, sagte Vicente Patón von der Denkmalschutzinitiative Madrid Ciudadanía y Patrimonio, als nach vier Jahren der Rohbau stand. Mit dem „glücklichen Ort“ meinte er die Hügelflanke, über der sich, von weither sichtbar, Kathedrale und Palast erheben. Hier, oberhalb des Flüsschens Manzanares, hatten die ersten arabischen Siedler im 9. Jahrhundert ihr Madrid gebaut, und in die bisher kaum berührte Flanke jener Anhöhe hinein setzten die Architekten Emilio Tuñón und Luis Moreno nun das Museum. Die 40 Meter hohe Fassade versahen sie mit vertikalen, schmalen Fensteröffnungen. Aus der Ferne sehen sie aus wie die überdimensionalen Belüftungsschlitze der darüberliegenden Kathedrale. Man hat den Madridern lange Zeit gelassen, um sich an den Anblick zu gewöhnen, bis sie nun hinter die Schlitze schauen dürfen. Erst zogen sich die Bauarbeiten neun Jahre in die Länge, auch deshalb, weil, wie zu erwarten, Reste arabischer und anderer alter Bauten auftauchten, die ins Museum integriert werden mussten. Dann brauchte es weitere acht Jahre, um dem Museum einen Sinn zu geben. Im April 2017 machte der Historiker Felipe Fernández-Armesto in einem Artikel für „El Mundo“ einen Vorschlag. „Die Königlichen Sammlungen können aufgrund ihrer Vielfalt die Grundlage eines wahren Spanien-Museums bilden“, schrieb er. „Die Ikonen unserer Heiligen, die Sehnsüchte der Privilegierten, der Schweiß der Arbeiter und Bauern: Alles ist in den Königlichen Sammlungen vertreten.“
Geschichte des neuzeitlichen Spaniens
Fernández-Armesto, der in den USA lehrt, hatte noch keine Gelegenheit, sich das Museum anzuschauen. Aber er hätte Grund, zufrieden zu sein. Aus den 165 000 Stücken der Königlichen Sammlungen – die sich seit anderthalb Jahrhunderten in Staatsbesitz befinden, verteilt über zwei Dutzend Paläste und Klöster – haben die Direktorin Leticia Ruiz und ihre Mitarbeiter 650 Exponate herausgefiltert, in denen sich trefflich Schönheit und Bedeutung vereinen. Sie erzählen, in zwei gewaltigen Hallen, die Geschichte des habsburgischen und des bourbonischen Königshauses und somit die Geschichte des neuzeitlichen Spanien. Ja, es sind prächtige Ritterrüstungen und Kutschen und Wandteppiche darunter, und zugleich frisch restaurierte Gemälde von Velázquez oder Caravaggio, die bisher ein unbeachtetes Dasein in selten betretenen Kammern des benachbarten Königspalastes führten. „Hier glänzen sie, sie kommen zur Geltung“, sagt Ruiz, „sie erklären – und sind wunderbar.“
Informationen unter: www.patrimonionacional.es/en/actualidad/galeria-de-las-colecciones-reales
Kunstmetropole Madrid
Museen
Die spanische Hauptstadt bietet auch ohne Königliche Galerie gleich drei Kunstmuseen von Weltklasse – und spiegelt damit den Rang Madrids als geschichtsträchtiger Sitz bedeutender Monarchen und Sammler. Fußläufig benachbart sind das Museo del Prado (mehr als drei Millionen Besucher jährlich), das Museo Thyssen-Bornemiza (der einstigen Unternehmer-Privatsammlung) und das Museo Reina Sofia mit moderner Kunst – hier ist auch Pablo Picassos „Guernica“ im Original zu erleben.