Zwei in Koffern verstaute Leichen wurden im Rosensteinpark gefunden, diese Nachricht hielt im Sommer 2014 Stuttgart in Atem. Jetzt beginnt der Prozess gegen einen Bekannten der beiden Opfer. Er streitet die Vorwürfe ab und wittert ein Komplott.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Am 1. Juni 2014 spannt sich über Stuttgart der blaue Himmel. Die Sonne scheint, Generalprobe für den Sommer. In der Stadt hat die Grillsaison begonnen. Geschmack daran haben auch zwei Männer, die sich an dem Sonntagnachmittag mit mehreren Freunden im Unteren Schlossgarten treffen. Man trinkt und grillt gemeinsam. Weil im Park so viel los ist, suchen die beiden Männer aus der Gruppe kurz vor 18 Uhr ein stilles Örtchen, um auszutreten. Hinter einer Betonwand zwischen dem Bahndamm und der Baumallee, die von der Innenstadt zum Schloss Rosenstein führt, machen sie allerdings einen grausigen Fund: Die Männer stoßen zufällig auf zwei große Rollkoffer – und eines der Gepäckstücke ist blutverschmiert. Mit seinem Mobiltelefon ruft einer der beiden die Polizei. Als die Ermittler die Koffer öffnen, entdecken sie zwei Tote. Der Mann und die Frau sind unbekleidet, mittleren Alters, klein gewachsen und wiegen jeweils kaum 60 Kilogramm. Die Leichname, die zusammengekauert wie Embryos in den Koffern stecken, weisen massive Stich – und Schlagverletzungen auf.

 

Vorführung in Fußfesseln und Handschließen

Günter H. soll die Frau und den Mann umgebracht haben. Der 48 Jahre alte Stuttgarter muss sich seit Montag am Landgericht wegen zweifachen Mordes verantworten. Mit Fußfesseln und Handschließen betritt er den Gerichtssaal. Um sich vor den Kameras der Journalisten zu schützen, hat er sich seine Jeansjacke über den Kopf legen lassen. Als die Fotografen gehen, zieht er die Jacke herunter. Der fast zwei Meter große Mann wirkt kräftig.

Der 48-Jährige verzieht keine Miene, als der Staatsanwalt die Anklage verliest: Er soll den 50 Jahre alten Wohnsitzlosen Peter G. und die 47 Jahre alte Sylvia C., die er beide von der Obdachlosenszene am Ostendplatz kannte, in der Nacht zum 30. Mai in seiner Wohnung in Gablenberg getötet haben. Zunächst habe der Angeklagte den Mann im Schlaf mit einem Feuerlöscher erschlagen. Das Motiv: Peter G. sei mit Sylvia C. liiert gewesen und er selbst habe Interesse an der 47-Jährigen gehabt, so der Staatsanwalt.

Als der Angeklagte gemerkt habe, dass er mit der Tat nicht mit Sylvia C. zusammenkomme, habe Günter H. die Frau kurzerhand erstochen. Die Mordmerkmale: niedrige Beweggründe, Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer sowie im Fall von Sylvia V. der Versuch, eine Straftat zu verschleiern. Danach habe der Angeklagte die Leichname in zwei große Reisekoffer gepackt, die Gepäckstücke nacheinander auf den Anhänger seines Fahrrades gestemmt und nachts in zwei Touren in den Schlossgarten gefahren. Danach soll Günter H. bei Freunden untergetaucht sein.

DNA-Spuren führen auf die Spur des Angeklagten

Es ist einer der spektakulärsten Mordfälle in Stuttgart der vergangenen Jahre. 15 Tage nach dem Auffinden der Leichname sind die Ermittler sicher, dass sie den Täter gefasst haben. Die 40-köpfige Ermittlungsgruppe „Damm“ hat unter Hochdruck fast 250 Hinweise und Spuren abgearbeitet. DNA-Spuren führen schließlich auf die Spur von Günter H., der bei einem Freund Unterschlupf findet. Ein Spezialkommando stürmt am Montag, dem 16. Juni, eine Wohnung an der Sophienstraße in der Innenstadt. Günter H., einschlägig zwei Mal wegen Gewaltdelikten vorbestraft, lässt sich widerstandslos festnehmen.

Günter H. weist die Vorwürfe von sich

Bereits bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung streitet Günter H. den Vorwurf ab, den Mann und die Frau umgebracht zu haben. Im Gerichtssaal wiederholt der seit längerer Zeit arbeitslose Maurer seine abenteuerliche Version. Demnach sei man zu dritt mit dem Bus zu seiner Wohnung gefahren, um gemeinsam Alkohol zu trinken. Irgendwann sei ihm schwummrig geworden. Er vermute, dass er von Sylvia C. eine unbekannte bewusstseinstrübende Substanz verabreicht bekommen habe, die sie auch Peter G. heimlich eingeflößt habe. „Ich hatte einen regelrechten Blackout“, so der Angeklagte. Daher habe er sich in ein Nebenzimmer zum Schlafen gelegt. Dort habe er Peter G. und Sylvia C. noch streiten gehört. Als er aufgewacht sei, habe er nebenan ein Geräusch gehört. Und als er die Tür geöffnet habe, soll die 47-Jährige dem bereits toten Peter G. seinen „Feuerlöscher ins Gesicht gerammt“ haben. „Ich stand total unter Schock“, sagt der Angeklagte.

Angeklagter wittert eine Verschwörung gegen sich

Die Frau habe ihm gesagt, dass sie Peter G. im Schlaf stranguliert habe. Daraufhin habe er sich „solidarisch“ gezeigt. „Ich weiß auch nicht, warum“, so der Mann. „Ich war traumatisiert.“ Als die Frau gesagt habe, dass sie Hunger habe, sei diese Bemerkung für ihn „wie ein Befehl gewesen“, mit ihr Essen zu gehen. „Ich war irgendwie willenlos.“ Die Döner-Bude ums Eck sei bereits geschlossen gewesen. Daher sei man mit einem Taxi in eine griechische Gaststätte in den Osten gefahren. Die Frau habe dort zu ihm gesagt, dass sie nun erleichtert sei.

Frau soll sich selbst stranguliert haben

Nach dem Essen sei man wieder zu ihm gefahren, weil Sylvia C. ihre Schlüssel habe holen wollen. Und die EC-Karte von Peter G., weil dieser ihr Geld geschuldet habe. In der Wohnung habe ihm die Frau Avancen gemacht. Er habe sich aber wieder in den Nebenraum zum Schlafen gelegt. Als er aufgewacht sei, sei Sylvia C. indes tot im Wohnzimmer gelegen. Sie habe sich mit einem Spanngurt selbst stranguliert. „Die ist eh depressiv gewesen“, so der Mann.

Angesichts der beiden Toten sei er völlig fertig gewesen, sagt der Angeklagte. „Ich wusste, dass alles an mir hängen bleibt. Ich war traumatisiert.“ Er habe die Toten entkleidet, in die Reisekoffer gesteckt und zunächst in die Duschwanne gestellt, weil aus den Gepäckstücken „eine rötliche Flüssigkeit“ gesickert sei. Daraufhin habe er seine gesamte Wohnung penibel gereinigt, die Kleidung der Toten gewaschen und in Mülltonnen in der Nachbarschaft entsorgt. Weil ihn die Frau in die Patsche geritten habe, habe er der Toten vor Wut noch einen Messerstich in die Schulter verpasst. Schließlich habe er die Koffer im Park hinter die Wand gestellt. Er habe geahnt, dass die Polizei ihm auf den Fersen ist und ihm nicht glauben werde. Um noch ein paar Tage die Freiheit zu genießen, habe er bei zwei Freunden geschlafen, ihnen aber nichts gesagt und einige Zeit unter freiem Himmel an der Sternwarte auf der Uhlandshöhe genächtigt.

Die Ermittler glauben Günter H. kein Wort

Die Staatsanwaltschaft und die Polizei glauben dem Mann kein Wort: Sie verweisen auf massive Stichverletzungen der Opfer und darauf, dass bei ihnen keine Würgemerkmale entdeckt wurden. Dies nimmt der Angeklagte zum Anlass, ohne Punkt und Komma über die Justiz herzuziehen. Die Beweise seien gefälscht worden, um ihm die Taten unterzujubeln, es handele sich um eine „Täuschungsaktion“, die Leichen seien manipuliert, zusätzliche Wunden habe man hinzugefügt. „Die Karten sind gezinkt. Ich habe keine Chance aus dieser Sache rauszukommen. Das ist ein Komplott gegen mich“, so der Angeklagte. Zu seiner Person wolle er nichts sagen: „Das bringt ja eh nichts. Ich habe es eilig.“

Wirres Gerede von „Präventionsgedanken“

Die erfahrene Vorsitzende Richterin Regina Rieker-Müller lässt den Angeklagten ausreden. Als der Redeschwall von Günter H. endet, fragt sie ruhig, wer ein Interesse an einer Verschwörung gegen ihn habe? Der Angeklagte vermutet „einen Präventionsgedanken“ der Polizei und der Justiz. Irgendjemand, der die Macht habe, habe das Recht in seine Hände genommen, um den Richter zu spielen.

37 Zeugen und acht Sachverständige sind bis Ende März in dem Prozess geladen. Günter H. wird es schwer haben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war von der Richterin namens Sabine Rieker-Müller die Rede gewesen, richtig ist Regina Rieker-Müller.