Es stärkt das Selbstbewusstsein, wenn man zu spät kommt – und der andere noch nicht davongelaufen ist. Deshalb hofft unsere Kolumnistin, dass auch mal jemand auf sie wartet.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Dieser Tage habe ich mit einer Freundin geskypt. Als wir gerade mitten im Gespräch waren, klingelte ihr Telefon. „Ich muss da mal kurz dran“, sagte sie. Dann durfte ich ihr sehr lang dabei zuschauen, wie sie schweigend am Hörer hing. Die Person am anderen Ende schien aber auch nichts zu sagen, sondern im Internet etwas zu googeln. Vielleicht hat derjenige aber auch nur nebenher mit jemandem geskypt, der vielleicht auch gerade am Telefon hing mit jemandem, der gerade geskypt hat mit jemandem, der telefonierte mit jemandem, der gerade beim Skypen war. Wahrscheinlich mit jemandem, der gerade telefonierte.

 

Vielleicht hat derjenige auch gerade nur kurz den Hörer beiseitegelegt, um die Küche aufzuräumen. Ich war kürzlich zum Essen eingeladen. Nach dem Nachtisch wurde ich aufs Sofa platziert, während die beiden Gastgeber klappernd in der Küche verschwanden. Sie stellten das Geschirr in die Spülmaschine. Sie füllten die Essensreste in Döschen. Sie spülten die Töpfe. Sie schüttelten das Tischtuch aus und räumten die Untersetzer in den Schrank zurück. Ich könne auch gehen, damit sie sich ungestört ihrer Hausarbeit widmen können, sagte ich irgendwann. „Wieso denn? Wir müssen nur noch die Spüle polieren, dann haben wir es auch schon.“

Ein High Potential kommt eine Stunde zu spät

Aber es ist halt auch schön, wenn jemand auf einen wartet. Es stärkt das Selbstbewusstsein. Man fühlt sich so wichtig. In Berlin, habe ich mir sagen lassen, gilt man als hip, wenn man eine Stunde zu spät kommt. Daran erinnerte ich mich, als ich mit einer Berliner Kulturschaffenden verabredet war. Als sie nach einer Stunde immer noch nicht da war, wusste ich: Die ist nicht nur hip, sie muss sogar eine richtig wichtige Person sein. Ein High Potential. Fast schon ein Promi. Später stellte sich allerdings heraus, dass sie einfach nur krank war und vergessen hatte abzusagen. Und dass sie doch nicht wichtig genug ist, als dass ich noch mal auf sie warten wollte.

Das Diffizile an dieser Angelegenheit ist nämlich: um sich wichtig fühlen zu können, muss man jemanden finden, der bereit ist, auf einen zu warten. Nachdem man mich in letzter Zeit so viel hat warten lassen, möchte ich im Gegenzug mal testen, ob irgendjemand auch auf mich warten würde. Sich geduldet. Ausharrt. An meinen Lippen hängt. Um dazu die Chancen zu erhöhen, zum Abschluss ein richtig toller Witz: Treffen sich zwei Freundinnen. Sagt die eine: „Hallo!“ (Fortsetzung folgt.)