Während der Ferienzeit kommt der zwischenmenschliche Austausch zu kurz. Auch unsere Kolumnistin weiß nicht, wem sie ihre relevanten Dinge erzählen soll.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn die Ferien jetzt nicht allmählich zu Ende gehen, platze ich. Mir steht’s bis Oberkante Unterlippe. Sogar bis Unterkante Oberkiefer. Noch eine Winzigkeit – und ich explodiere, eruptiere, detoniere. All das, was seit Wochen brennt und brodelt, wird wie glühende Lava herausbrechen und herniedergehen. Und dann werde ich die Welt wissen lassen: Ich habe jetzt endlich mal wieder die Sockelleisten abgesaugt!

 

Man muss seine Erlebnisse doch irgendwie loswerden. Man muss sich mitteilen und austauschen, erzählen, was einen beschäftigt. Angeblich gibt der Mensch im Durchschnitt 16 000 Wörter pro Tag von sich. Manche kommen sogar auf 45 000. Dagegen werden es in der Ferienzeit vermutlich nicht mal traurige 1000 Wörter am Tag sein. Das entspricht geschätzt vier Sätzen pro Stunde. Mir persönlich reichen die hinten und vorne nicht.

Nachbars Dackel muss zum Friseur

Deshalb war ich schon kurz davor, eine Freundin im Urlaub anzurufen. Ihre Straße ist nämlich zurzeit gesperrt. Zwar nur für wenige Tage, aber ich dachte: vielleicht interessiert sie das. Das will man doch wissen, auch im Urlaub. Das ist doch wichtig.

Wegen der Roaminggebühren habe ich dann aber doch nicht angerufen.

Eine Bekannte telefoniert jeden Tag mit ihrer alten Tante. Die berichtet dann, dass sie bei der Fußpflege war oder der Dackel ihrer Nachbarin zum Friseur muss. So können beide schon mal auf angenehme Weise einen ordentlichen Anteil der täglich 16 000 Wörter loswerden. Kürzlich saß ich auch am Tisch neben zwei Ehepaaren. Die Frauen erzählten sich, was sie zuletzt gebacken haben. Die Männer tauschten sich darüber aus, wer welche Strecke auf dem Hinweg genommen hat. Dann haben sie sich wieder verabschiedet und gesagt: „Das war jetzt aber wirklich nett mit euch.“

Ich würde auch gern jemandem erzählen, dass bei uns die Woche der Papiermüll geleert wurde. Dass eine Kollegin Sodbrennen hatte. Und ich zweieinhalb Meter Klettband gekauft habe. In Schwarz.

Aber es sind ja alle im Urlaub und können wegen der Roaminggebühren nicht telefonieren. Vor ein paar Tagen wurde mir aber ein unglaubliches Gerücht zugetragen: Ein Bekannter, der fast siebzig und extrem unsympathisch ist, hat eine Neue. Die ist gerade Anfang zwanzig. Das musste ich der Freundin dann doch brühwarm per SMS ins Ausland schreiben. Worauf sie, Roaming hin oder her, umgehend anrief: „Das ist nicht dein Ernst! Erzähl! Sofort!“