Warum im Ludwigsburger Schlosshof bald eine Almhütte steht und der Bahnhof Wohlfühlort ist – das erklärt unser Kolumnist Rafael Binkowski mit leichtem Sarkasmus.

Ludwigsburg - Der Wasen ist gerade erst vorbei, und damit auch die Invasion von Dirndlträgern und Lederhosenfetischisten, die vor allem an den Wochenenden die S-Bahnen verstopfen. Doch der bayerische Flair naht nun bald von anderer, unerwarteter Seite: Vom 24. November an wird ein „Winter-Wonderland“ den Innenhof des Schlosses bevölkern. Eine Eisbahn für Familien zum Schlittschuhlaufen, mit – man höre und staune – einer Almhütte.

 

Der Schlossverwalter Stephan Hurst will etwas Neues wagen, ja, wie schon beim Elektromusikfestival Electrique Baroque nahezu Revolutionäres. Da trifft es sich gut, dass der Bietigheimer Eventveranstalter Reinhard Lieb eine waschechte Almhütte aus den bayerischen Alpen importiert und für VIP-Events aufgemöbelt hat. Das mobile Holzhaus wird also in den Innenhof transportiert, bietet Firmenevents im Dirndl-und-Lederhosen-Design an. Die Schweinshaxe soll mit Trüffelpüree verfeinert werden, ist ja schließlich ein De-Luxe-Event zu „bodenständigen Preisen“, wie es heißt. Immerhin, der Koch hat schon den G-8-Gipfel in Hamburg verköstigt, nun kredenzt er auf des Königs Hof.

Nun gut, das Schloss ist eben eine Top-Location und für das richtige Lebensgefühl immer ideal. Die Barockstadt bietet aber auch an völlig anderen Stellen Ambiente, wo man es gar nicht vermutet hätte. Nämlich am Zentralen Omnibusbahnhof, in der Amtssprache ziemlich lieblos ZOB genannt. Ein eher trostloser Ort im – sagen wir mal – Trading-Down-Gebiet der Stadt mit interessanten Persönlichkeiten. An Haltestelle 6 soll die Großstadttristesse aber jetzt zu einer Wohlfühloase werden.

Postkarten statt WLAN am ZOB

Deswegen haben Forscher von zwei (!) Universitäten aus Stuttgart und München (!) einen Workshop mit Senioren organisiert, dessen Vorschläge nun an Haltestelle 6 zu sehen sind. Das Warten soll angenehm und kurzweilig werden, ein „bewusstes Erlebnis“, eine transparent begrünte Rückwand und ein Kunstrasenbelag sollen das düstere Pendlerleben erhellen. Eine Metamorphose wie in Psalm 23: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück.“ Die engelhafte Erlösung entpuppt sich als grüne Plastikwand mit erratisch auf dem Boden verstreuten grünen Beppern. Aber nicht, dass dann alle wieder nur in ihr Smartphone starren, nein nein! Die Senioren des Forscher-Workshops haben stattdessen „Warte-Karten“ im Postkartenformat. Dreiminütige Kurzgeschichten, fünfminütige Sudoku-Aufgaben sollen verteilt werden als Ersatz fürs Glotzophone. Deswegen gibt es auch kein WLAN. Auf einer der Postkarten zum Verweilen stehen ganz viele Zahlen ausgeschrieben. Such die Zweiundzwanzig!

Der Herzog überdenkt die Stadtgründung

Ist das nicht eine emotionale Achterbahnfahrt? Der Schlossbesucher aus – sagen wir mal – Besigheim betritt die angehende Großstadt, wird vom Klientel am Bahnhof angeschnauzt und von der Fahrstuhlmusik berieselt. Eingehüllt von Dönergeruch flutscht er über in die grüne Lagune an Haltestelle 6, löst ein Sudoku, streift sich die Lederhose über und gleitet auf dem ewigen Eis im Schlosshof am Neuen Corps de Logis entlang, um in der Almhütte Schweinshaxe à la truffeloise zu genießen und über die Schneelage in St. Moritz zu parlieren.

Hach, wenn das Herzog Eberhard Ludwig noch mitbekäme – er hätte sich wahrscheinlich schnell hinter seiner Postkarte mit Kurzlesegeschichte versteckt und vor Schreck einen Almdudler geschlurft. Und dann hätte sich das mit der Stadtgründung noch einmal gründlich überlegt.