In seiner Kolumne hält StZ-Lokalchef Holger Gayer ein Plädoyer für die Pluralität der Gesellschaft – oder einfacher ausgedrückt: für die Lust am gemeinsamen besser Leben im Meltingpöttle Stuttgart.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Manches Bild trifft einen wie der Blitz aus heiterem Himmel. Ein junger Mann wird in Handschellen abgeführt, sein Gesicht ist verpixelt, nicht erkennbar. Die Botschaft des Fotos: Terrorgefahr – aber gebannt. Der Ort: eine Straße, in deren Mitte eine imaginäre Grenze verläuft. Sie trennt nicht Nord- von Südkorea oder die Palästinenser von den Israelis. Sie trennt Stuttgart von Fellbach.

 

Wie viel Symbolik liegt in diesem Bild, das in dieser Woche entstanden ist? Zunächst lässt es die Interpretation zu, dass die Terrorgefahr immer und überall lauert, auch an der Schwelle zwischen Stuttgart und Fellbach. Es besteht der Verdacht, dass der von dort abgeführte Student helfen wollte, einen Anschlag mit einem sprengstoffbepackten Modellflugzeug zu verüben. Die Nachbarn haben nichts davon bemerkt, die Kommilitonen auch nicht.

Meltingpöttle nach schwäbischer Art

Was aber folgt daraus? Vereinfacht gesagt zweierlei: Zum einen hat unsere Polizei offenbar einen guten Job gemacht – wie so oft. Zum anderen sollten wir Bürger weiterhin tun, was uns in den vergangenen Jahren meist ganz gut gelungen ist: Extremismus jeder Art mit unserer offenen Lebensart entlarven als das, was er ist – dumm.

Die Landeshauptstadt und ihre Region zählen knapp 2,7 Millionen Einwohner. Allein in Stuttgart leben Menschen aus 178 Nationen, die UN haben 193 Mitgliedsstaaten. Zwar ist die baden-württembergische Kapitale nicht so groß wie New York, aber trotzdem ist sie ein Schmelztiegel, ein Meltingpöttle nach schwäbischer Art. Hier ist 1950 die Charta der Heimatvertriebenen unterzeichnet worden, hier hat Manfred Rommel 1977 befunden, dass im Tod jede Feindschaft ende – auch die zwischen Terroristen und dem Staat, den diese zeitlebens bekämpften. Hier hat Wolfgang Schuster die Freundschaft zu internationalen Metropolen begründet. Und Fritz Kuhn gilt auch nicht als einer, dem man erst noch buchstabieren müsste, wie schwäbische Liberalität geschrieben wird.

Gemeinsam besser zu leben ist das Ziel

Diese Geschichte und diese Gegenwart machen Mut – und Lust auf das Kommende. Wie wäre es, wenn wir unsere Gemeinsamkeiten feierten an diesem Wochenende? Nicht das Trennende, das sich als Bote der Angst einschleichen will, sondern das Verbindende. Zum Beispiel auf dem Heusteigviertelfest, das wahrscheinlich so gut besucht sein wird, dass die Völkerverständigung sogar körperlich spürbar ist. Oder auf dem Marktplatz Istanbul, der sein Anliegen schon im Titel trägt. Vom 30. Juni bis zum 3. Juli feiert der Verein Begegnungen die Verbindung zwischen Okzident und Orient auf dem Karlsplatz. Gemeinsam besser zu leben, ist das Ziel. Kann es ein schöneres geben?